Neuartiges »Industrie 4.0 Recht-Testbed« stellt Verhandlungen und Verträge zwischen Maschinen auf sichere Füße

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Die Forschung am Standort Deutschland hat den technologischen Durchbruch für den Einsatz künstlicher Intelligenz in Produktion und Logistik erzielt und den Unternehmen im internationalen Vergleich einen Zeitvorsprung verschafft. Maschinen können heute mit Maschinen kommunizieren und selbstständig – also ohne menschlichen Input bzw. manuelle Eingriffe – Entscheidungen treffen. Im Einsatz dieser technischen Systeme und der ihnen zugrunde liegenden Technologien, wie der Blockchain liegen heute die größten Potenziale für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der Unternehmen am Standort Deutschland. Nur so lässt sich auch die Vision des Internets der Dinge vollständig realisieren. Die neue Dimension der Autonomie wirft allerdings Rechtsfragen von hoher Komplexität auf. Dazu gehört die Wirksamkeit von durch Maschinen geschlossenen Willenserklärungen oder die Nachweisbarkeit der von ihnen autonom erbrachten Leistungen. Die rechtliche Diskussion steht hier erst am Anfang. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen scheuen daher die Investitionen in die neuen intelligenten Systeme. Damit laufen sie jedoch Gefahr, den Anschluss an die internationalen Märkte zu verlieren.

Vor diesem Hintergrund fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ein anwendungsorientiertes Forschungsprojekt mit Modellcharakter: das »Industrie 4.0 Recht-Testbed« am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund. Neben dem Fraunhofer IML stehen das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST, ebenfalls aus Dortmund, die Universität des Saarlandes mit dem Institut für Rechtsinformatik sowie die Ruhr-Universität Bochum mit dem Horst Görtz Institut für IT-Sicherheit hinter dem Projekt.

In dem Testbed simulieren Ingenieure Verhandlungen und Vertragsabschlüsse von Maschinen mit einem klaren Fokus auf der Analyse rechtlicher Problemstellungen. Juristen bewerten die Prozesse auf Basis der aktuellen Gesetzeslage und zeigen Rechtsunsicherheiten auf und geben Handlungsempfehlungen für die Entwicklung neuer rechtlicher Standards. Aus dem Projekt werden aber auch sehr konkrete Ansätze und Werkzeuge, Musterklauseln und -verträge hervorgehen. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen erhalten damit eine Basis, um rechtliche Risiken durch die Kommunikation zwischen Maschinen in den Bereichen Zivilrecht und Zivilprozessrecht sowie IT- und Datenschutzrecht besser einschätzen zu können – so wie heute bei Verträgen und Verhandlungen zwischen Menschen.

Bis 2022 ist die Veröffentlichung der Handlungsempfehlungen für neue rechtliche Standards geplant, später im Jahr 2022 soll dann die industrielle Pilotanwendung vorgestellt werden.

 

Wo liegen die Chancen für die Industrie, wenn Maschinen mit Maschinen verhandeln?

Roboter können den Menschen nicht nur von körperlich schwerer Arbeit entlasten, sondern ihnen auch bei stupiden kaufmännischen Tätigkeiten viel Arbeit abnehmen. Dazu gehört zum Beispiel das Prüfen von Verträgen und Rechnungen. Diese sich wiederholende Standardtätigkeit entfällt, wenn Maschinen mit Maschinen verhandeln und »smarte« Verträge schließen. Produktion und Logistik werden effizienter, Prozesse optimiert, Kosten sinken. Laut einer Umfrage des Digitalverbands BITKOM haben zwei Drittel der deutschen Unternehmen 2018 schon Nachholbedarf beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz gesehen.

 

Gibt es schon Beispiele für den Einsatz dieser Systeme in Produktion und Logistik?

Aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheiten bislang noch nicht aus dem betrieblichen Alltag. Das Fraunhofer IML gehört jedoch zu den wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland, die in zahlreichen Forschungsprojekten immer wieder unter Beweis stellen, dass die Kommunikation zwischen Maschine und Maschine heute reibungslos funktioniert. Die Wissenschaftler haben beispielsweise Regale, Paletten, Kisten und Behälter mit umfänglichen Transportwege-, Navigations-, Produkt-, Zustands- sowie zunehmend auch Finanzinformationen ausgestattet, so dass diese Bestellungen und Lieferungen in Netzwerken komplett autonom abwickeln können. Zudem treibt das Fraunhofer IML aktuell gemeinsam mit Industriepartnern die Entwicklung einer sogenannten Smart-Contracting-Plattform voran, auf der Maschinen Verträge miteinander verhandeln und abschließen können. Die Lösungen stehen also vor der Tür.

 

Wo liegen die Knackpunkte, wenn Maschinen mit Maschinen verhandeln?

Aus technologischer Sicht gibt es keine mehr, die technische Machbarkeit ist gezeigt. Aus rechtlicher Sicht allerdings schon, denn nach dem derzeitigen Rechtsverständnis sind Maschinen keine Träger von Rechten und Pflichten, können also de facto weder Verträge schließen noch Haftung übernehmen. Damit beispielsweise Softwareagenten in einem Industrieunternehmen eigenständig Nachschub für die Produktion bestellen können, müssen die Verantwortlichkeit für Störungen von Abläufen (z. B. Vertragsdurchführung) sowie bei der Verursachung von Schäden und daraus resultierende Haftungsrisiken geklärt werden. Die Frage der Haftung wird insbesondere dann relevant, wenn Maschinen über Unternehmens- oder Ländergrenzen hinweg miteinander kommunizieren. Unternehmensübergreifende nationale wie transnationale Netzwerke sind aber die Zukunft.

 

Was wird im Testbed konkret untersucht?

Im »Recht-Testbed« der vier Konsortialpartner werden zwei Anwendungsfälle aus der Industrie 4.0 in einer gesicherten Umgebung auf Basis der aktuellen Gesetzeslage simuliert. Sie beschreiben typische Geschäftsprozesse in Produktion und Logistik:

• Use Case »Logistik«: Autonome Systeme organisieren einen unternehmens- und grenzüberschreitenden Warentransport.

• Use Case »Produktion«: Softwareagenten steuern Produktionsprozesse innerhalb eines Unternehmens autonom.

 

Solche Anwendungsfälle werden heute in der Regel aufgesetzt, um Schnittstellen und Prozesse zu optimieren. Die Anwendungsfälle im »Recht-Testbed« dienen jedoch dazu, das Zusammenspiel von intelligenten Behältern, autonomen Fahrzeugen und Softwareagenten unter Maßgabe eines rechtssicheren Verhaltens zu beobachten.

In den Anwendungsfällen werden unterschiedliche Szenarien durchgespielt und justiziable Störungen provoziert. Diese reichen vom Verlust der Ware auf dem Transportweg bis zu einer nicht termingerechten Lieferung – juristisch ein Problem, weil nicht Menschen, sondern Maschinen dahinterstehen. Hochrangige Juristen werden nun die entsprechenden Vertrags- und Haftungsfragen sowie Fragen zum Datenschutz ausloten. Im Rahmen simulierter Gerichtsverfahren (Mock-Trials) werden sie – falls möglich – Urteile fällen, in jedem Fall aber ungeklärte Rechtsfragen aufzeigen.

Weitere Informationen

Das Forschungsprojekt läuft über 48 Monate bis Ende Mai 2023. Es hat ein Volumen von 5,5 Millionen Euro. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) fördert es mit 5,1 Millionen Euro. Das Projekt besitzt unter anderem die volle Unterstützung der Plattform Industrie 4.0, dem von der Bundesregierung geförderten Gemeinschaftsprojekt der deutschen Wirtschaftsverbände BITKOM, VDMA und ZVEI zur Weiterentwicklung und Umsetzung des Zukunftsprojekts Industrie 4.0, sowie der International Data Space Association, in der sich Wissenschaft und Wirtschaft auf eine einheitliche Lösung für einen sicheren Datenraum verständigen.

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