Der Elektromotor alleine schafft nicht die Mobilitätswende

Nichts prägt unsere heutige Gesellschaft mehr als das Thema Mobilität, denn Mobilität bedeutet Bewegung, Teilhabe und Veränderung. Doch die Mobilität, wie wir sie heute kennen, befindet sich im Wandel. Mit Industrie 4.0, Digitalisierung, künstlicher Intelligenz und Highspeed-Internet ergeben sich viele neue Möglichkeiten nicht nur für Nutzer, sondern auch für tradierte und neue Mobilitätsanbieter. Als Innovationstreiber gelten längst nicht mehr nur neue Antriebstechnologien, sondern auch der Dienstleistungssektor bietet Potenzial. Doch wie sehen diese Dienstleistungen aus? Und wie funktionieren sie? 

Werden in Zukunft Autos mit großen Lithium-Ionen-Batterien ausgestattet oder produzieren Fahrzeuge mit einer Brennstoffzelle aus Wasserstoff ihren eigenen Strom? Oder erhält der über Jahrzehnte optimierte Verbrennungsmotor eine neue Antriebsenergie wie zum Beispiel Wasserstoff oder synthetisches Erdgas? Niemand kann mit Gewissheit sagen, wie sich die Elektromobilität in Deutschland entwickeln wird. Aber eins ist sicher: Grundlegende Veränderungen sind im Gange, die über einen reinen Wechsel der Antriebstechnologie hinausgehen. Auch wie wir Mobilität denken, wird sich vollständig verändern. Denn Mobilität wird in Zukunft wohl nicht nur von Automobilherstellern und großen Mobilitätsdienstleistern beeinflusst, sondern auch von Stromanbietern, innovativen Start-ups und vielleicht auch von Unternehmen, die wir noch gar nicht mit diesem Thema in Verbindung bringen. 

 

Querdenker sind gefragt

Vielleicht können wir in Zukunft mit unserem Einkauf in der Bäckerei Punkte für unsere Heimfahrt im autonom fahrenden Minibus sammeln, oder ein intelligentes Parkhaus lädt unsere Autos auf, während wir eine Runde durchs Einkaufszentrum schlendern. Elektroautos, die an das eigene Solardach angeschlossen sind, könnten tagsüber Strom speichern, bis wir ihn nach Einbruch der Dunkelheit unseren Nachbarn verkaufen, die nochmal kurz die Klimaanlage aufdrehen oder eine längere Fahrt mit dem Auto machen wollen. Damit diese Zukunftsvisionen in die Praxis umgesetzt werden können, müssen viele verschiedene Akteure eng vernetzt zusammenarbeiten: Das Auto kommuniziert zum Beispiel mit dem Haus der Nachbarn, die Bäckerei mit der Plattform für den Nahverkehr. »Das geht über das eigentliche Autofahren weit hinaus«, erklärt Ralf Erdmann, der mit seinem Team für das Fraunhofer IML eine Leitlinie für die Entwicklung solcher innovativen Dienstleistungen mitentwickelt hat. »Dafür ist Querdenken und die Abkehr vom Bisherigen nötig.«

 

Neue Technologie, neue Märkte, neue Herausforderungen

Wenn Autos mit alternativen Technologien ausgestattet sind, von vielen gemeinsam genutzt oder von künstlichen Intelligenzen gesteuert werden, bieten sich völlig neue Möglichkeiten, und es entsteht ein Bedarf an neuen Dienstleistungen rund um die Elektromobilität. »Wir können uns heute noch gar nicht vorstellen, was einmal möglich sein wird. Deswegen muss die neu konzipierte Leitlinie, eine DIN-SPEC, die Entwicklung guter Dienstleistungen ermöglichen – unabhängig davon, wie genau Autos, Lkw und Busse in Zukunft angetrieben werden«, so Erdmann. Eine knifflige Aufgabe. »Aber unser Konzept funktioniert für alle Antriebe.« Dabei richtet sich die neue Leitlinie an alle Teilnehmer auf dem Dienstleistungsmarkt rund um neue Formen der Mobilität. »Denn Automobilkonzerne werden in Zukunft wohl nicht nur durch den Bau von Fahrzeugen unser Stadtbild prägen, sondern auch selbst Dienstleistungen anbieten. Das können multimodale Fahrkonzepte sein, Ladesäulen oder vielleicht auch etwas völlig Anderes. Doch genau wie alle anderen Marktteilnehmer müssen auch tradierte Konzerne neue Wege gehen, um innovative Dienstleistungen zu entwickeln«, so Erdmann.

 

Neue Dienstleistungen erfolgreich entwickeln

Aber welche Wege führen zum Erfolg? Wie können Unternehmen die besten Dienstleistungen für die Elektromobilität der Zukunft entwickeln? An diesem Punkt haben Ralf Erdmann und sein Team bei der neuen Leitlinie DIN-SPEC »So werden Unternehmen bei innovativen Entwicklungen unterstützt« angesetzt. Das mit dem DIN-Verlag und verschiedenen erfahrenen Partnern aus der Mobilität entwickelte Verfahren zeige den Weg zu Dienstleistungen auf, die auch parallel funktionieren. »Wir konnten auf bereits fundiertes Know-how in diesem Bereich zurückgreifen. Dies hat das Projekt schnell vorangebracht«, so Erdmann. Dazu traf man sich zum Informationsaustausch an mehreren Standorten in Deutschland, bis eine gute Lösung gefunden war. So entstand in wenigen Monaten ein systematischer und strukturierter Entwicklungsablauf. Die DIN-SPEC erschien im Frühjahr 2018. »Mit diesem Leitfaden haben wir ein Instrument, um gemeinsam mit Unternehmen Dienstleistungen für die Elektromobilität und darüber hinaus weiter zu entwickeln«, erklärt Ralf Erdmann. »Insbesondere die Logistik und ihre Prozesse sind prädestiniert für die Nutzung neuer Antriebstechnologien und entsprechend begleitende Dienstleistungen.«

Noch liegen diese Dienstleistungen in der Zukunft. »Aktuell existiert noch kein wirklicher Markt für diese neuen Dienstleistungen, denn die kritische Masse ist noch nicht erreicht«, so Erdmann. Derzeit ist die Anzahl an Elektroautos und E-Lkw, die auf Deutschlands Straßen unterwegs sind, noch zu gering. Doch dies wird sich ändern, denn mit Dieselfahrverboten in den Innenstädten und gesunkenen Batteriepreisen wächst ihre Attraktivität. »Diese Entwicklung wird Forschung und Entwicklung speziell auch in Deutschland voranbringen«, da ist sich Ralf Erdmann sicher.