Dortmunder Logistik beschleunigt Teilchen

Unter den Schweizer Alpen versteckt sich Spitzenforschung, die das Herz eines jeden Physikers höher schlagen lässt. Hier befindet sich der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger der Welt, der »Large Hadron Collider« (LHC) der Europäischen Organisation für Kernforschung CERN. Mit dem LHC suchen Teams aus der ganzen Welt seit zehn Jahren nach Antworten auf die grundlegenden Fragen der Teilchenphysik. Doch seine Leistung wird in weniger als 20 Jahren nicht mehr den zukünftigen Anforderungen entsprechen. Damit die Forschungsarbeit nahtlos fortgeführt werden kann, planen schon heute über 70 Teams weltweit den Nachfolger »Future Circular Collider« – mit logistischer Unterstützung aus Dortmund.

 

Mit dem LHC wurde 2012 das Higgs-Boson entdeckt. Noch ist er der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger der Welt und Anziehungspunkt für Forscher aus 150 Nationen. Doch um neue Erkenntnisse in der Hochenergie-Physik gewinnen zu können und so eventuell den Beweis für Dunkle Materie zu liefern, braucht es mehr. Um das benötigte Energieniveau für diese Experimente zu erreichen, bedarf es energiereicherer Teilchen. Das ist mit dem LHC unmöglich. Es muss also ein größerer Beschleuniger her. Der »Neue« mit dem Namen »Future Circular Collider«, kurz FCC, soll nicht mehr rund 27 Kilometer, sondern bis zu 100 Kilometer Umfang haben. 
 

Internationale Zusammenarbeit als Erfolgsgeheimnis

Auch am FCC arbeiten Teams aus aller Welt zusammen. »Die Atmosphäre am CERN ist etwas ganz Besonderes«, beschreibt Andreas Nettsträter, zuständig für strategische Initiativen am Fraunhofer IML, seine Tätigkeit für CERN. »Sogar politische Konflikte treten völlig in den Hintergrund. Für die Leute, die gemeinsam forschen, ist es egal, woher sie kommen. Die Wissenschaft ist das Wichtigste.« Allein an den Planungen für den FCC arbeiten über 70 Forschungsteams weltweit.

Das Team um Nettsträter und seinen Kollegen Christian Prasse beschäftigt sich mit der logistischen Umsetzung des Projekts. Denn wenn 6.000 Magneten mit einem Gewicht von jeweils über 80 Tonnen termingerecht aus der gesamten Welt nach Genf geliefert, dort montiert, getestet und unterirdisch transportiert werden müssen, ist die Logistik eine besondere Herausforderung. »Wir haben vom gewünschten Termin des CERN rückwärts gerechnet«, erklärt Nettsträter das Vorgehen. »Wann müssen die Magneten gefertigt, versandt und am Montageort sein? Und wie funktioniert die Logistik auf der Baustelle?«

© Fraunhofer IML
Schematischer Verlauf des Future Circular Collider

Eine Baustelle der besonderen Art

Seit 2017 läuft die Studie, bei der das Fraunhofer IML die gesamte Logistik unter die Lupe genommen hat: den oberirdischen Transport der Bauteile zur Baustelle mittels verschiedener Verkehrsmittel sowie den Transport an den Montageort. Viele Bauteile müssen vor Ort montiert und getestet werden. Erst danach können sie an die jeweiligen Bauabschnitte verteilt werden: »Das klingt einfacher als es ist, denn der FCC wird mehrere 100 Meter unterhalb der Erdoberfläche gebaut. Dorthin müssen alle Bauteile transportiert werden – auch die Dipol-Magneten, die später die beschleunigten Teilchen innerhalb des Tunnels auf Kurs halten werden«, so Nettsträter.

Die tonnenschweren Magneten müssen mit Schächten unter die Erde gebracht und dann in Tunnels bis zu ihrem jeweiligen Einsatzort transportiert werden. Die Herausforderung dabei: Die Hochleistungsmagneten sind extrem sensibel. »Im montierten Zustand vertragen sie kaum Erschütterungen und nur Beschleunigungen bis 0,1 g – fast unmöglich mit einem konventionellen Transportsystem«, fährt Nettsträter fort. Aus diesem Grund hat das Fraunhofer IML ein neues, modulares Fahrzeugkonzept entwickelt, das diesen Anforderungen gewachsen ist. 

Ein Gewinn für beide Seiten

Jedes Jahr treffen sich die Fachwelt und die an der Planung beteiligten Teams zur »FCC-Week«. Auf der diesjährigen Konferenz in Amsterdam präsentierte das Team um Nettsträter die Ergebnisse seiner Vorstudie zur Logistik vor der Fachwelt und der Planungskommission des CERN. Das Ergebnis beruhigte das Planungskomitee: »Der Zeitplan des CERN ist machbar«, so Nettsträter. Damit ist eines der Probleme, die vom CERN als erfolgsentscheidende Faktoren identifiziert wurden, gelöst – und die Forschungsteams können sich jetzt ganz auf die technischen Details konzentrieren. »Unsere einfache und gute Lösung wurde sehr positiv aufgenommen«, freut sich Nettsträte

Weiter geht es mit einer technischen Machbarkeitsstudie, sobald die Finanzierung des FCC gesichert ist. Auch wenn die Zusammenarbeit mit dem CERN erst einmal beendet ist, profitiert das Fraunhofer IML auch weiterhin: »Wir hatten noch nie ein so großes und komplexes Projekt, bei welchem wir unsere Konzeptions- und Planungsmethoden auf neue Anwendungsfelder übertragen und validieren konnten«, erklärt Nettsträter. Es konnten Ansätze weiterentwickelt und neue Vorgehensweisen erforscht werden. »Hiervon kann die Logistik über Jahrzehnte hinaus profitieren. Das gilt im Übrigen auch für andere Wissenschaftsdisziplinen – und damit auch für andere Fraunhofer-Institute.«

Andreas Nettsträter

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Dipl.-Inform. Andreas Nettsträter

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