Die Frage nach der Zukunft betrifft alle – die Prozess- und Fertigungsindustrie ebenso wie die Logistik. Im Supply Chain Management, das sich auf die kommenden Veränderungen einstellen muss, treffen diese drei Wirtschaftszweige aufeinander und müssen entsprechende Lösungen finden. An dieser Schnittstelle der Disziplinen arbeitet ein Forschungsteam um Saskia Sardesai und Matthias Parlings vom Fraunhofer IML zusammen mit weiteren in der EU angesiedelten Forschungseinrichtungen an der Supply Chain von morgen.
Zweimal pro Jahr treffen sich alle Beteiligten, um die erzielten Ergebnisse auszuwerten und die nächsten Schritte zu planen. Dabei agieren die Forschungspartner in unterschiedlichen Kompetenzbereichen und bearbeiten spezielle Arbeitspakete. So ist das Fraunhofer IML zuständig für die »Industrial Future Scenarios for Supply Chains«, also die Zukunftsszenarien für industrielle Supply Chains. »Next-Net« verbindet dabei verschiedene Herangehensweisen: auf der einen Seite den methodisch-wissenschaftlichen Ansatz der Forschung, auf der anderen Seite die anwendungsorientierte Herangehensweise der Industrie. »Diese Kombination ist besonders gut, um funktionierende Lösungen für die Praxis zu entwickeln«, sagt Projektleiterin Saskia Sardesai.
Wer die Zukunft vorhersagen will, muss die Gegenwart kennen – und Trends identifizieren. Deswegen beschäftigten sich die Teams mit aktuellen Entwicklungen und auch Megatrends. Im Zuge des methodischen Vorgehens wurden zunächst Literaturrecherchen sowie Expertenumfragen und Workshops durchgeführt. »Wir haben viele verschiedene Dimensionen betrachtet: die politische, soziale, ökonomische, rechtliche und ökologische.« Identifiziert wurden 22 Faktoren mit differierenden Ausprägungen, die im Zusammenspiel die Entwicklung bis 2030 voraussichtlich beeinflussen. Aus diesen ließen sich mithilfe des quantitativen Gausemeier-Ansatzes zwölf mögliche Zukunftsszenarien ableiten. Dazu Saskia Sardesai: »Die Methode dient dazu, sich auf unterschiedliche Szenarien vorzubereiten, sei es im Unternehmen, in der Forschung oder in der Politik. Somit werden auch akute Wendungen, wie aktuell in der Politik, nicht ausgeschlossen. In diesen Fällen liegen ohne großen Mehraufwand bereits Strategien zur Anpassung an die jeweilige Situation vor.«
Um die relevanten zukunftsbestimmenden Szenarien auszuwählen, haben sogenannte C-Level-Experten sie auf ihre Wahrscheinlichkeit sowie hinsichtlich ihres möglichen Einflusses auf die Supply Chains überprüft. Somit konnten die zwölf Zukunftsszenarien auf sechs interessante Entwicklungen verkürzt werden. Jeder Entwurf repräsentiert eine spezifische Kombination der sozioökonomischen, politischen und technologischen Trends, wobei sowohl sehr positive als auch eher rückläufige beziehungsweise stagnierende Entwicklungen eine Rolle spielen.
Wenn im ersten Schritt die Herausforderungen für die Supply Chain konkretisiert sind, startet die zweite Phase des Projekts. In dieser operiert das Fraunhofer IML weiterhin als wichtiger Partner. Ziel ist die Identifikation von technischen Innovationen, die benötigt werden, um auf die sich abzeichnenden Veränderungen reagieren zu können – oder welche selbst einen Wandel bewirken. Da speziell an diesem Punkt der Dialog mit der Industrie wichtig ist, nutzte die Gruppe den »Zukunftskongress Logistik 2018 – 36. Dortmunder Gespräche«, um mit Anwendern aus der Praxis ins Gespräch zu kommen. »Wir haben bei den Diskussionen viel wichtigen Input bekommen, den wir in das Projekt einfließen lassen werden«, berichtet die Projektleiterin weiter. In der dritten und letzten Projektphase werden die Experten letztlich eine auf den gewonnenen Erkenntnissen basierende Roadmap entwickeln, die den Forschungs- und Entwicklungskurs für das nächste Jahrzehnt vorgibt. »Dabei fungieren wir als Vermittler zwischen den verschiedenen Industriezweigen und den Institutionen der EU«, unterstreicht Sardesai.
Noch bis Herbst 2019 läuft das Projekt. Bis dahin wollen die internationalen Teams die wichtigsten Forschungsfelder definiert und eine europaweite Zusammenarbeit eingeleitet haben, die auch nach Abschluss von »Next-Net« weiterbesteht. Diese Kooperation soll nicht nur die Perspektiven der jeweiligen Industriezweige, sondern auch die der verschiedenen Länder vereinen. Saskia Sardesai freut auf die damit verbundenen Chancen: »Es ist schön, diese mannigfaltigen Sichtweisen und Gedanken zusammenzubringen und daraus etwas Neues zu entwickeln. So wird die Industrie in ganz Europa fit für zukünftige Veränderungen.« Denn gerade im Zuge einer engen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene ließen sich Lösungen finden, die ansonsten möglicherweise unerkannt geblieben wären.