Prof. Uwe Clausen im Interview

»Wir müssen städtische Räume lebenswerter machen«

Die europäische Initiative »Knowledge and Innovation Community EIT* Urban Mobility« soll urbane Räume lebenswerter machen. Prof. Uwe Clausen, Institutsleiter am Fraunhofer IML, spricht im Interview mit »Logistik entdecken« über die Mobilität und die Stadt der Zukunft sowie über den Beitrag des Fraunhofer IML zu diesem Projekt.

 

Herr Prof. Clausen, wo haben Sie heute auf Ihrem Weg zur Arbeit Verbesserungsbedarf in der Mobilität gesehen?

Ich bin heute mit dem Rad ans Institut gekommen. Dabei sehe ich dann immer den Verbesserungsbedarf hinsichtlich der Führung des Radverkehrs und einer sicheren Querung für Fußgänger unterhalb der Mensabrücke an der TU Dortmund. Bei der Stadt Dortmund habe ich dazu – zuletzt im Rahmen unserer Aktivitäten zum »Masterplan Wissenschaft« – mehrfach Abhilfe durch Umbau angemahnt und hoffe sehr, dass dies 2021 nun umgesetzt wird. 

Warum muss sich die urbane Mobilität in Zukunft verändern?

Unsere Ballungsräume sind durch anhaltenden Zuzug und durch Überlagerung des motorisierten Wirtschafts-, Pendler- und Einkaufsverkehr vor allem in den Morgenstunden stark beansprucht. Es geht viel Zeit durch Staus verloren und der motorisierte Individualverkehr beansprucht viel Fläche. Angesichts der Herausforderungen Klimaschutz und Luftschadstoffe müssen die Alternativen gestärkt werden. 

Wie soll die Stadt der Zukunft aussehen?

Die Siedlungs- und Raumstrukturen sollen so weiterentwickelt werden, dass hohe Aufenthaltsqualität bei Nutzungsvielfalt und sicherer Ver- und Entsorgung gegeben ist. Wohnen und Gewerbe sind heute schon weniger strikt getrennt als früher, ein Trend, der verstärkt werden sollte. Die Verkehrsplanung wird mit Vorrang für einen leistungsfähigen öffentlichen Verkehr und für mehr Fuß- und Radwege weiterentwickelt und der Parkraum wird teurer werden. Ride-Sharing-Services und Mikromobile werden an Bedeutung gewinnen. 

Was sind die Ziele der »Knowledge and Innovation Community Urban Mobility«?

In der Knowledge and Innovation Community Urban Mobility des EIT sind Europäische Städte, Industriepartner, Universitäten und Forschungszentren wie Fraunhofer engagiert. Unterschiedliche Partner bilden Konsortien, um Lösungen für große gesellschaftliche Herausforderungen in Bereichen mit hohem Innovationspotenzial für die städtische Mobilität zu finden. Um die Lebensqualität der Bürger in Städten zu erhöhen und eine nachhaltige Mobilität zu ermöglichen, müssen wir den Austausch von Wissenschaft und Technik mit Verkehrsplanung und -betrieb in den Städten vertiefen, innovative Mobilitätslösungen, dort wo es passt, beschleunigt einführen und länderübergreifend voneinander lernen. 

Welche Projekte laufen aktuell am Fraunhofer IML im Rahmen von »KIC EIT Urban Mobility«?

Im aktuellen Jahr ist das Fraunhofer IML an vier Projekten im Rahmen des KIC EIT Urban Mobility beteiligt, die sich sowohl mit der Förderung nachhaltiger Mobilität, als auch der Logistik in den Städten beschäftigen: Im Projekt MOBY untersuchen wir, wie sich Mikromobilität in den Städten verträglich, sinnvoll und sicher nutzen lässt. Das Projekt AI-TraWell dient der Entwicklung, dem Test sowie der Einführung eines von Künstlicher Intelligenz betriebenen Dialogsystems für Reisende. Die Idee ist, personalisierte Reisealternativen zur Verfügung zu stellen und so Mobilitätserfahrungen für Reisende zu verbessern. Um die Logistik in Städten nachhaltiger zu gestalten, untersuchen die Projektpartner in ZEUS und S.M.U.D. mit uns, wie die Tagesrand- und Nachtzeiten (»Off-Peak Delivery«) mit E- und Hybrid-Lkw besser und zugleich stadtverträglich genutzt werden können und erproben Mikrodepots in verschiedenen Städten.

Arbeitet das Fraunhofer IML mit anderen europäischen Städten zusammen? Wenn ja, wie?

Das EIT hat sich übergreifend das Ziel gesetzt, sich für positive Veränderungen in der Mobilität einzusetzen und diese zu beschleunigen, um städtische Räume lebenswerter zu machen. Dazu sind wir mit vielen Städten im Austausch und arbeiten innerhalb der laufenden Projekte aktuell insbesondere mit den Städten München, Lublin, Kopenhagen, Stockholm, Barcelona, Helmond, Helsinki und Tel Aviv zusammen. 

Welche Aufgabe kommt dem Fraunhofer IML als »Knowledge Institute« zu?

Unsere Aufgaben sind die wissenschaftliche Begleitung, die Weiterentwicklung und Verbreitung von Erkenntnissen sowie die Realisierung innovativer Ideen in Pilotprojekten. Dazu bringen wir die jahrelange Logistik- und Mobilitätsexpertise ein und engagieren uns für gute Lösungen in der urbanen Logistik und vernetzten Mobilität.

Wird sich die urbane Mobilität durch Corona langfristig verändern?

Kurzfristig ging der Verkehr zurück, wobei der öffentliche Verkehr stärker abgenommen hat als die Pkw-Nutzung. Das Fahrrad hat an Bedeutung gewonnen. Wir gehen davon aus, dass der öffentliche Verkehr sicher gestaltet werden kann und wieder zulegen wird. Betriebliches Mobilitätsmanagement erhält eine zusätzliche Zielrichtung – die Gesundheit der Beteiligten und die Sicherung der betrieblichen Kontinuität. Es gab und gibt einen Schub in der Digitalisierung. Das fordert und fördert auch die Vernetzung in der Mobilität – »Mobility as a service« ist hier das internationale Schlagwort und unser Ziel – vor allem in Verbindung mit dem öffentlichen Verkehr. Häufigere Online-Bestellungen gehen zulasten des stationären Handels – diese ohnehin stattfindende Entwicklung hat Corona beschleunigt. 

Redaktion

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