Blockchain für entwaldungsfreie Lieferketten

Ein Bild vom Regenwald mit einem bewölktem Himmel.
© Fraunhofer IML

Der internationale Handel mit Rohstoffen und Produkten spielt eine wesentliche Rolle bei der globalen Entwaldungsproblematik. Deshalb nimmt die Europäische Union im Rahmen der Ende Juni 2023 in Kraft getretenen EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten Unternehmen in die Pflicht, Sorgfaltspflichten zur Reduktion von globaler Entwaldung zu erfüllen. Mit »ForestGuard« unterstützt das Fraunhofer IML betroffene Unternehmen bei der Einhaltung der Vorgaben der Anti-Entwaldungsverordnung der Europäischen Union (EUDR).

Wälder verdienen aus vielfältigen Gründen besonderen Schutz: Als CO2 -Senke und Biodiversitätshotspot regulieren sie Temperatur- und Wasserkreisläufe. Sie sind Arzneischrank, lebende Genbank und nicht zuletzt Lebens- und Identitätsgrundlage vieler Menschen. Ungeachtet dessen hat die Welt in den letzten 30 Jahren laut der Ernährungsund Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) etwa 420 Millionen Hektar Wald (Stand 2022) verloren – eine Fläche fast so groß wie die Europäische Union. Entwaldung und Walddegradierung gehören zu den wichtigsten Ursachen der beiden größten ökologischen Herausforderungen unserer Zeit: der Klimakrise und dem Verlust der Biodiversität. 

EU stellt sich Verantwortung

Hauptursache für die weltweite Entwaldung und Wald schädigung ist die Ausweitung landwirtschaftlich genutzter Flächen für die Erzeugung von Rohstoffen, wie Soja, Rind fleisch, Palmöl, Holz, Kakao, Kautschuk oder Kaffee. Als eine der größten Volkswirtschaften und größter Verbraucher dieser Rohstoffe trägt die EU maßgeblich zur globalen Entwaldung und Waldschädigung bei – sie ist weltweit der zweitgrößte Exporteur und auch Importeur von Waren. Im Bewusstsein dieser Verantwortung hat die EU die am 29.06.23 in Kraft getretene EU-Anti-Entwaldungsverordnung (EUDR) über entwaldungsfreie Agrarlieferketten verabschiedet. Diese nimmt Unternehmen in die Pflicht, Sorgfaltspflichten zur Reduktion von globaler Entwaldung zu erfüllen. Ausschlaggebend ist der »Bewaldungs-Status» von Erzeugungsflächen zum Stichtag 31.12.20. Unternehmen müssen lückenlos aufdecken, inwieweit sie mit ihren Produkten und in welcher Rolle – als Inverkehrbringer oder Händler – von der EUDR betroffen sind, um relevante Rohstoffe und daraus hergestellte Erzeugnisse in die EU einführen, ausführen oder vertreiben zu können. Die EUDR soll sicherstellen, dass als kritisch identifizierte Rohstoffe sowie bestimmte daraus hergestellte Produkte, wie Leder, Schokolade und Möbel, die in der EU in Verkehr gebracht werden, weder in der EU noch anderswo in der Welt zur Entwaldung und Waldschädigung beitragen. Die EU will nur noch »entwaldungsfreie» Rohstoffe und Erzeugnisse herstellen und verbrauchen.

Vogelperspektive auf ein Gebiet im Regenwald, das gerodet wird.
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Daten erfassen und beherrschen

Die Umsetzung der Anti-Entwaldungsverordnung ist komplex und erfordert eine transparente Erfassung und Aufbereitung großer Datenmengen und Informationen über die gesamte Lieferkette aller Waren inklusive Vorerzeugnisse. Dies stellt Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Oft stehen diese Informationen entlang der betroffenen Lieferketten heute entweder gar nicht oder nicht in ausreichender Quantität, Qualität, Verlässlichkeit, Manipulationssicherheit oder Handhabbarkeit zur Verfügung. Im Falle einer Betroffenheit durch Länderrisiken oder entsprechende Erzeugnisse schließen sich Einzelfallprüfungen aller Lieferanten und Produktionsflächen an, eine individuelle Risikoanalyse und die Einleitung von Maßnahmen zur Risikominderung sieht die EUDR ebenfalls vor. Vor dem Geltungsbeginn der Verordnung am 30.12.24 sind deshalb neue technische Konzepte und Lösungsansätze gefordert, um Betroffene bei ihrem Vorhaben, die Anforderungen der EUDR zu erfüllen, zu unterstützen. Hier setzen das Fraunhofer IML und seine assoziierten Partner mit dem Pilot-Projekt »ForestGuard« an. Der anwendungsorientierte Lösungsvorschlag bietet Unternehmen einen Weg, die Ergebnisse alle Daten zu vorangegangenen Analysen einzuspeisen und über mehrere Stufen der Lieferkette hinweg fälschungssicher zusammenzuführen und nachverfolgbar zu machen. Dazu fließen in »ForestGuard« Daten unterschiedlicher Akteure, Stakeholder und Quellen entlang der Lieferketten ein. Diese werden unter Wahrung der Datensouveränität strukturiert zusammenführt, um so die erforderliche Transparenz für die Erfüllung der in der EUDR geforderten Sorgfaltspflichten zu gewährleisten. Das Forschungsprojekt wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) im Rahmen der Exportinitiative Umweltschutz (EXI) gefördert. Das Projekt ist am 01.11.23 gestartet und hat eine Laufzeit von 15 Monaten. 

Lückenlose und sichere Nachverfolgung

»ForestGuard« ist eine Blockchain-basierte Open-Source-Lösung zur Datenaufnahme (Upload) und Führung (Nachverfolgung über mehrere Stufen) von Nachweisen über Entwaldungsfreiheit. Die relevanten Daten können von Anwendern bereitgestellt werden und über mehrere Stufen der Lieferkette, auch bei Vermischung von Chargen, nachgehalten und Dritten zur Verfügung gestellt werden (Anzeige und Download). Zu den relevanten Daten zählen beispielsweise ein Proof of Ownership (Landtitel), Proof of Freedom from Deforestation (der Nachweis der Entwaldungsfreiheit), Geodaten (Koordinaten), eine Beschreibung der Waren (bspw. Menge oder Verarbeitungsgrad des jeweiligen Produkts) und – wenn vorhanden – Zertifikate (Fair Trade, Fair Globe etc.). Dazu verbindet das Forscherteam die Blockchain-Technologie mit weiteren Technologien, wie beispielsweise dem Internet der Dinge oder Informationen aus geografischen Informationssystemen. Die Implementierung der Blockchain-Technologie schafft einen »Single Point of Truth« (SPoT). Dieser gewährleistet eine unveränderliche Integrität der Daten. Die Steuerung von Zugriffen ermöglicht gezielte Einblicke für Unternehmen oder Behörden. Die Entscheidung für eine Open-Source-Lösung erhöht zudem die Skalierbarkeit des Systems. Mit einem generischen Forschungsansatz will das Fraunhofer IML sicherstellen, dass sich die Lieferketten sämtlicher betroffener Rohstoffe und Waren unter Anpassung an individuelle Gegebenheiten abbilden lassen. »Mit ForestGuard möchten wir ein Vorbild für andere Lieferketten und regulatorische Anforderungen schaffen, wie z. B. das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)«, erklärt Roman Koller, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IML und Projektleiter von »ForestGuard«. »Das Projekt erschließt zudem wichtige Grundlagen für Lieferkettenfinanzierungen und Investitionsfinanzierungen für Nachhaltigkeitsprojekte – vor allem in den Erzeugerländern am Anfang der Lieferketten«.

Praxisbeispiel Kaffee-Lieferkette

Damit die Forschenden »ForestGuard« unter realen Rahmenbedingungen entwickeln können, wurde exemplarisch eine Kaffee-Lieferkette aus Peru für das Projekt ausgewählt. Durch eine umfassende Integration von Daten – von der Plantage bis zum Handel – soll die Transparenz und Rückverfolgbarkeit EUDR-relevanter Informationen über die gesamte Lieferkette des Kaffees sichergestellt werden. Zu den Funktionalitäten von »ForestGuard« zählen unter anderem die Vermischung und Aufteilung (Merge und Split) von Chargen (Batches), eine Nachweisungsführung, Prozessverfolgung, die Buchführung über Ernten und ein Erzeugermanagement. Der Umsetzungsvorschlag mit den entsprechenden Funktionalitäten wird gemeinsam mit starken Partnern aus der Praxis, wie u. a. der REWE Group und Schirmer Kaffee, erarbeitet. »Unsere Projektpartner sind alle von der EUDR direkt oder indirekt betroffen. Ihr Handlungsdruck, aber auch ihre Motivation, an neuen Lösungen mitzuwirken, sind dadurch gleichermaßen groß«, so Roman Koller. »Durch sie bekommen wir die Möglichkeit, ganz nah am Prozess zu arbeiten – buchstäblich vom Feld bis zum Supermarktregal – und können so die Anwendbarkeit und den späteren Praxistransfer unserer Entwicklung sicherstellen.« Die Unterstützung durch das BMUV und die enge Zusammenarbeit mit erfahrenen Praxispartnern unterstreichen die Relevanz von »ForestGuard« im Kontext globaler Umweltveränderungen und des großen Handlungsdrucks für Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit und Transparenz in Lieferketten durch die EUDR. »Transparente Lieferketten sind die Grundlage unseres Kampfes gegen Klimawandel und Entwaldung», so Dr. Klaus Wirbel, Mitglied des Sustainable-Finance-Beirats und Leiter Finanzen/Treasury der REWE Group. »Mit dem Pilotprojekt sammeln wir wichtige Erkenntnisse, wie wir die entstehenden Datenmengen und -ströme effizient und transparent managen. Wir sind dann in der Lage, diese Erkenntnisse zu übertragen – das wäre ein großer Fortschritt.«

Von der Planung bis zur Pilotphase

Ein Mann kippt geerntete Kaffeebeeren in einen Sack.
© Fraunhofer IML

Die erste Projekt-Phase war analytisch-konzeptionell geprägt. Hier haben die Forschenden im Wesentlichen die fachlichen, technischen und regulatorischen Anforderungen an einen Blockchain-basierten Ansatz zur Umsetzung der EUDR aus Sicht der betroffenen Stakeholder erfasst und ein Konzept entwickelt für den Programmablaufplan, die Software-Architektur, das Datenmodell und eine Beschreibung der Schnittstellen. Daran anknüpfend folgt die zweite Projektphase, die im Mai 2024 angelaufen ist und die Umsetzung des Konzeptes sowie eine Pilotierung und Validierung mit den Projektpartnern beinhaltet. Zurzeit arbeitet das Forscherteam an der Entwicklung und Implementierung eines ersten funktionsfähigen Prototyps, der die Effektivität des Lösungskonzepts demonstrieren soll. Die Durchführung des Pilotbetriebs des MVP am Beispiel der Kaffee-Lieferkette schließt sich daran an. Dazu reisen die Forschenden zu einer Kaffeekooperative nach Peru. Sie wollen sich ein Bild von der Situation der Bauern vor Ort machen, die dortige Ernte und Logistikprozesse begleiten und herausfinden, wie dort Daten erfasst und gemanagt werden. Nach Abschluss der Pilotphase und Auswertung der Erkenntnisse soll geprüft werden, inwieweit sich »ForestGuard« auf weitere Lieferketten übertragen lässt. Es ist geplant, die Open-Source-Lösung gegen Ende des Jahres allen betroffenen Unternehmen zur Verfügung zu stellen.

Hürden, die noch genommen werden müssen

Bis es soweit ist, müssen sich sowohl die Dortmunder Forscher, Erzeuger und betroffene Betriebe als auch die EU noch einigen Herausforderungen stellen und mit Hochdruck und immensem Aufwand daran arbeiten, EUDR-konforme Lösungen in diesem knappen Zeitraum an den Start zu bringen. Das EU-Informationssystem, in das Unternehmen ihre Daten einpflegen sollen, geht erst Ende 2024 in Betrieb – also zeitgleich zum Anwendungsbeginn der Verordnung. Die EUDR-Regulatorik ist noch nicht finalisiert. Die Schnittstellenspezifikation des EU-Informationssystems zum Beispiel, über die die Sorgfaltserklärung eingereicht werden soll, wurde erst im Mai 2024 bekanntgegeben. Die umstrittene Einschätzung der EU zu Länderrisiken soll ebenfalls erst später folgen. Diese ist aber für Unternehmen sehr wichtig, um Risiken in ihrer Lieferkette einschätzen und noch Maßnahmen (neue Verträge/Lieferanten) ergreifen zu können, um die Anforderungen der EUDR zu erfüllen. Zudem sind die Datenverfügbarkeit und das Digitalisierungsniveau in den Ursprungsländern sehr heterogen. Und in vielen Ursprungsländern ist die Erfassung von Feldern und Landtiteln noch nicht abgeschlossen. Es bleibt also spannend.

Roman Koller M.Sc.

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Roman Koller M.Sc.

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