Gamechanger für die Krankenhauslogistik

Wie so viele Industrie- und Wirtschaftsbetriebe beklagen auch Krankenhäuser den Fachkräftemangel. Das Berufsfeld der Pflege ist davon besonders betroffen. Ein Lösungsansatz, um Pflegefachkräfte zu entlasten und den Beruf attraktiver zu gestalten, könnte die Neueinrichtung logistischer Prozesse mit Robotern sein. Schon seit einigen Jahren kommen Autonome Mobile Roboter (AMR) zum Transport großvolumiger Lasten wie beispielsweise Speisen-, Wäsche- oder Abfallcontainer zum Einsatz. Ihr Wirkungskreis beschränkt sich jedoch auf Bereiche abseits des Personenverkehrs. Dies soll sich mit dem cleveren Transportroboter »RemRob« des Fraunhofer IML ändern. Wie R2-D2 aus der beliebten Star-WarsSaga soll der Roboter autonom durch die Krankenhausgänge flitzen und die Stationen mit medizinischen Materialien versorgen.

 

Im Rahmen des Forschungsprojekts »5G-Remote Assistance for Robotics« (5G-RemRob) hat es sich das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik IML zusammen mit den Industriepartnern Fact GmbH, Sick GmbH und dem St. Franziskus-Hospital in Münster zum Ziel gesetzt, bestehende autonom fahrende Transportroboter mit geringem Implementierungsaufwand und mithilfe von Künstlicher Intelligenz für den erweiterten Krankhauseinsatz fit zu machen. Die Transportroboter sollten sukzessiv dazu befähigt werden, autonom in unterschiedlichen Einsatzorten des Krankenhauses zu fahren, um dort kleinvolumige Materialtransporte, wie defekte Medizingeräte, Arzneimittel oder Laborproben, durchzuführen. Tätigkeiten, die jetzt von Pflegefachkräften erledigt werden. Würden Roboter zukünftig diese Aufgaben übernehmen, könnte nicht nur dem Pflegefachkräftemangel entgegengewirkt werden, sondern Arbeitsabläufe ließen sich effizienter gestalten und Ressourcen gezielter einsetzen, was letztendlich zu einer besseren Versorgung der Patienten führt.

Robotern Intelligenz einhauchen

Die besondere Herausforderung bei »5G-RemRob« lag darin, ein System zu entwickeln, das in einer teilöffentlichen, chaotischen Umgebung mit vielen unterschiedlichen ungeschulten Personengruppen erfolgreich Transportaufträge erfüllt. Die dabei eingesetzte Technik sollte den TransportRoboter dazu ertüchtigen, eigenständige Lösungen für bestimmte Problemstellungen zu finden, wie beispielsweise die Umfahrung von Hindernissen oder die Interaktion mit Personen. Das zweijährige Projekt wurde im Rahmen des 5G.NRW Förderwettbewerbs durch das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert und endete im November 2023 mit einer Pilotphase im St. FranziskusHospital in Münster. Das Forschungsprojekt stützt sich dabei auf drei aufeinander aufbauende Entwicklungen, wobei das Herzstück die Sensorbox ist, die sogenannte »Remote AI-Box«, mit welcher der Roboter kommuniziert, Daten überträgt und empfängt. Die AI-Box vereint die erforderliche Sensorik und Rechenhardware für die Navigation in komplexen Umgebungen.

Operator bitte melden! Echtzeitkommunikation zwischen Mensch und Maschine

Für den Fall, dass der Transportroboter eine Problemstellung nicht selbstständig lösen kann, wie zum Beispiel Hindernisse auf dem Fahrweg, haben die Forschenden eine Remote-Assistant-Funktionalität entwickelt. Über diese wird eine Störungsmeldung zum Leitstand eines externen Operators gesendet. Dieser kann sich mithilfe einer XR-Datenbrille auf den Roboter schalten und erhält sowohl systemtechnische Informationen als auch Bilddaten aus dem Umfeld des Roboters. Zudem erlaubt die 3D-Perspektive der XR-Technologie eine leicht erfassbare Umgebungsvisualisierung. Der Operator kann in das aktuelle Umfeld des Roboters eintauchen, um ihn am Hindernis vorbeizunavigieren, damit dieser seinen Transportauftrag autonom fortsetzen kann. Für die Fernsteuerung des Roboters nutzt das Fraunhofer IML den 5G-Kommunikationsstandard. Dadurch ist eine stabile, drahtlose Netzwerkverbindung mit geringer Latenz sowie eine schnelle und sichere Datenübertragung in Echtzeit zwischen verschiedenen Systemkomponenten sichergestellt. Die Verwendung von 5G hat im Krankenhauseinsatz noch einen weiteren Vorteil. Würde der Roboter das WLAN-Netz des Krankenhauses nutzen, liefe man Gefahr, die Datenschutzrichtlinie in Bezug auf die Patientendaten zu verletzen. 

Permanentes Lernen aus Erfahrung

Der Roboter verbindet sich nicht nur mit einem Remote User. Der Mensch kann ihn dank neuronaler Netze auch trainieren. Die Daten, die während der Kommunikation mit dem Operator entstehen, werden von einem KIAlgorithmus verarbeitet und gespeichert, sodass der Roboter im Laufe der Zeit mit unterschiedlichen Problemsituationen umzugehen lernt. Langfristig wird dadurch die Autonomie des Roboters im laufenden Betrieb erhöht. Er benötigt immer seltener die Hilfe seines menschlichen Kollegen. Der Lernerfolg einzelner Fahrzeuge lässt sich dank des sogenannten »Lifelong AI Training« auch auf andere Roboter übertragen. Durch den Lerneffekt werden die Roboter selbst in neuen Umgebungen und schwierigen Einsatzorten stetig autonomer. »Das besondere an der AI-Box ist neben der Modularität, dass erweiternde KI-Algorithmen, zum Beispiel zur Bilderkennung, integriert sind, damit sich ein Robotersystem nicht nur in der Umgebung lokalisieren kann, sondern auch erkennt, was in der Umgebung passiert«, sagt Sebastian Hoose aus der Abteilung für Robotik und Kognitive Systeme am Fraunhofer IML. »Ein Rollstuhl auf dem Krankenhausgang ist somit nicht nur ein Hindernis, sondern der Roboter weiß, dass es sich bei dem Hindernis um einen Rollstuhl handelt, dem er ausweichen muss.

Kosteneffizientes, kompatibles und flexibles Robotersystem

Mit dem Serviceroboter »RemRob« erhalten Krankenhäuser nicht nur fleißige Helfer für das medizinische Transportwesen, sondern auch ein hohes Maß an Flexibilität bei der Wahl des Robotermodells. Die modulare Bauweise stellt sicher, dass die Remote AI-Box mit unterschiedlichen Herstellern von Roboterplattformen kompatibel ist. Zusätzlich ist, aufgrund der einfachen Übertragbarkeit des aktuellen Trainingsstandes auf weitere Roboter, die Anzahl der Roboterflotte flexibel anpassbar. Durch die roboterbasierte Autonomisierung der logistischen Transportprozesse in Kliniken kann eine Entlastung des Pflege-, Logistik- und Medizintechnikpersonals erfolgen und eine Refokussierung auf die wertschöpfenden Kernaufgaben im Pflegebereich eines Krankenhauses stattfinden.

Herz- und Nierentest im Krankenhausalltag

Um die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Serviceroboters »5G-RemRob« zu evaluieren und zu demonstrieren, führte das Fraunhofer IML zusammen mit der Fact Gruppe eine Pilotphase im St. Franziskus-Hospital in Münster durch. Im Praxistest sollten die technische Machbarkeit der autonomen Transportlösung im Krankenhaus getestet und potenzielle Herausforderungen identifiziert werden. Hierzu haben Pflegefachkräfte, Logistiker, Medizin- und Gebäudebetriebstechniker ihre Expertise eingebracht, um geeignete Einsatzfelder für den Roboter zu identifizieren. »Der Serviceroboter sollte während des Tests den Transport von Kleingeräten wie Infusionspumpen, Blutdruckmessgeräten oder EKG-Geräten von den Stationen zur Reparatur in die Medizintechnik und umgekehrt übernehmen, zudem den Transport von Arznei- und Medikamentenboxen sowie zwischenstationäre Transporte, wie Nachthemden für Patienten, Medikamente oder Akten, insbesondere in der Nacht«, so Marcus Hintze, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Health Care und verantwortlich für das Projekt 5G-RemRob. Dabei hat der Roboter die entsprechenden Güter in verschlossenen Boxen transportiert, um Diebstahl zu vermeiden. 

Herausforderungen in der Infrastruktur von Bestandshäusern

Während der Testphase unternahm der Roboter erste erfolgreiche Fahrten auf einer dafür ausgewählten Station des Hospitals. Eine der Herausforderungen war die bestehende Infrastruktur des St. Franziskus-Hospitals, die ein gutes Beispiel für einen bestehenden Gebäudekomplex ist, der im Laufe der Jahre mehrfach erweitert wurde. »Herausfordernd beim Einsatz von Robotik in Bestandsgebäuden ist insbesondere die Anpassung der Infrastruktur«, erklärt Jan Rasmus, Geschäftsführer der Fact Gruppe. »Wie kann der Roboter Aufzüge nutzen, Rolltore, Türen oder gepflasterte Wege meistern? Auch gewisse Problemstellungen während der Transportfahrt, wie beispielsweise Hindernisumfahrungen oder Personeninteraktionen, muss der Roboter eigenständig lösen können. Das ist wichtig, schließlich sollen sich die Roboter irgendwann in den normalen täglichen Betrieb auf den Krankenhausfluren einfügen, wo auch mal Betten oder Geräte stehen können und wo teils reger Personenverkehr herrscht.« Hier kann der »Lifelong Training Algorithmus« punkten, der dafür sorgt, dass der Roboter mithilfe von KI sukzessive seine Autonomie und Leistungsfähigkeit erhöht und sich so immer besser in seiner Umgebung zurechtfindet. Zudem muss die Kommunikation zwischen Serviceroboter und im Krankenhaus befindlichen Bewegungsmeldern oder Radartastern sichergestellt werden. Smart Devices könnten hier als Bindeglied fungieren, damit drahtlos kommuniziert und interagiert werden kann. Eine weitere Hürde sind Bedingungen im Rahmen von Brandschutz-Richtlinien. Ein separater Raum mit installierter Brandmeldung, feuerbeständigen Wänden und einer T30-Tür ist notwendig, um die erforderliche Roboterladestation unterzubringen.

Wie wirtschaftlich ist der Einsatz von Robotik?

Im Rahmen des Forschungsprojektes »5G-RemRob« wurde auch die Wirtschaftlichkeit des Robotereinsatzes im St. Franziskus-Hospital untersucht. Dazu wurde ein Kalkulationstool entwickelt, das durch die Eingabe relevanter Parameter die Wirtschaftlichkeitsberechnung durchführt. Dies soll Krankenhäuser bei Investitionsentscheidungen unterstützen. Bei der Kalkulation wurden die manuellen Transportprozesse betrachtet und mit den potenziellen Prozessen verglichen, die durch den Einsatz von Robotern abgebildet werden können. Die Kalkulation zeigte, dass ein Robotereinsatz im krankenhausinternen Materialtransport im Vergleich zur manuellen Verbringung wirtschaftliche Vorteile haben kann. Da sich aufgrund unterschiedlicher Gebäudeinfrastruktur von Krankenhäusern sehr individuelle Anforderungen an einen Robotereinsatz ergeben, muss die Wirtschaftlichkeit für jedes Krankenhaus individuell berechnet werden. 

Die Forschung an 5G-RemRob geht weiter

Nach Abschluss der Pilotphase im St. Franziskus-Hospital in Münster wurde in Gesprächen mit der Fact Gruppe der Wunsch laut, die Fähigkeiten der Sensorbox zu erweitern, um diese für mögliche weitere Einsatzfelder im nicht-medizinischen Dienstleistungsbereich attraktiver zu machen. Der Roboter könnte neben seinen Transportaufgaben zum Beispiel auch Kontroll- und Sicherheitsaufgaben im Bereich der Gebäudesicherheit übernehmen, da er jeden Tag an diesen Kontrollpunkten vorbeifährt. Dazu gehört unter anderem die Prüfung der Feuerlöscher (Mindesthaltbarkeitsdatum, Vorhandensein von Feuerlöschern), die Überprüfung der Fluchtwege und Fluchtpläne etc. Zur Erledigung dieser Aufgaben benötigt die Sensorbox keine weiteren Hardwarekomponenten. Lediglich die Software und der Algorithmus müssten entsprechend angepasst werden. Die Forschenden haben sich bei der DATI-Pilot, einer Förderrichtlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), um Fördergelder in Höhe von 250.000 Euro beworben. Die Laufzeit des Projekts, das für September 2024 geplant ist, beträgt 18 Monate. »Die Weiterentwicklung zur Marktreife und die Vermarktung könnte danach mit unserer Unterstützung Wirtschaftsunternehmen übernehmen«, so Marcus Hintze, der sich auf Gespräche mit interessierten Robotikherstellern freuen würde. »Wir sind davon überzeugt, dass Krankenhäuser immer öfter auf die Hilfe von Robotern angewiesen sind. Entsprechend wird sich die Robotik stetig weiterentwickeln und damit die Mensch-Technik-Interaktion immer weiter perfektioniert«, so Hintze. »Als Health-Care-Logistiker sind wir der Ansicht, dass Pflege und Medizindiagnostik in Menschenhand bleiben sollte, aber alle pflegefremden Dienstleistungen können mit Robotern automatisiert werden, damit sich das Pflegepersonal auf die Patienten konzentrieren kann. Eine Lösung, die sicherlich auch Patienten begrüßen würden.«

Marcus Hintze

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M.Sc. Marcus Hintze

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Sebastian Hoose, M.Sc.

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