Interview: Die neue Institutsleitung im Gespräch über KI und Logistik

»Wenn es um KI und Blockchain geht, soll auch außerhalb der Logistik niemand mehr an Dortmund vorbei kommen« 

Seit April 2024 liegen die Geschicke des Fraunhofer IML in den Händen einer neu aufgestellten Institutsleitung. Im Interview mit »Logistik entdecken« sprechen die drei Institutsleitenden Alice Kirchheim, Michael Henke und Uwe Clausen über die Entwicklung und die Zukunft der angewandten Logistikforschung – und wagen einen Ausblick, wie die Logistik und wir als Gesellschaft von einem breiten Einsatz Künstlicher Intelligenz profitieren werden.

»Frau Prof. Kirchheim, Sie haben nun Ihre ersten Monate als neue Institutsleiterin hinter sich. Wie ist Ihr erster Eindruck vom Fraunhofer IML und dem Standort Dortmund?« 

Kirchheim: Ich fühle mich sehr wohl und kann das mit dem Gedanken »Gekommen, um zu bleiben« zusammenfassen. In der Vergangenheit habe ich von außen das Fraunhofer IML immer als eine lebendige Organisation mit engagierten und begeisterungsfähigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wahrgenommen. Dieser Eindruck hat sich von innen bestätigt und genau das hatte ich erhofft, denn in so einem Umfeld arbeite ich sehr gerne. Das Fraunhofer IML hat in den letzten Jahrzehnten den Logistik-Standort Dortmund maßgeblich geprägt. Es ist hier ein Ökosystem aus Initiativen, Projekten, Unternehmen und Start-ups entstanden, viele von ihnen haben zumindest teilweise Büros in der direkten Nachbarschaft zum Fraunhofer IML. Zu diesem Standort gehört natürlich auch die TU Dortmund. Hier wurde vor über zwei Jahrzehnten der erste Logistik-Studiengang in Deutschland aufgebaut und hier forschen mehrere Lehrstühle an logistischen Themen. In Kürze: Besser geht es nicht. Ich persönlich lerne Dortmund und das gesamte Ruhrgebiet erst kennen, die Stadt und die gesamte Region bieten kulturell und landschaftlich sehr viel Abwechslung. Es ist die richtige Entscheidung gewesen, gleich hierher zu ziehen, und letztlich ist es mit der Bahn auch nur ein Katzensprung in meine Heimatstadt Hamburg.

»Was hat für Sie den Reiz ausgemacht, von der eher grundlagenorientierten Universitätsforschung an ein Fraunhofer-Institut zu wechseln, wo die angewandte Forschung stark im Fokus steht?« 

Kirchheim: Nach meinem Studium habe ich an Universitäten, Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, in der Industrie und freiberuflich gearbeitet. Immer im Kontext der Intralogistik. Die Art und Weise, wie der Umgang miteinander ist und gearbeitet wird, unterscheidet sich sehr. Ich habe mich überall wohl gefühlt und überall hat etwas gefehlt. Hier am Fraunhofer IML in Kombination mit meinem Lehrstuhl an der TU Dortmund verbindet sich das Gute aus allen Welten. Insofern fühle ich mich nicht so, als würde ich von der grundlagenorientierten Universität in die angewandte Forschung wechseln. Aber eins stimmt natürlich: Schon meine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Bremen habe ich mir anwendungsbezogen gesucht und … in der Logistik gefunden. 

»Herr Prof. Henke und Herr Prof. Clausen, Sie schauen bereits auf viele Jahre am Fraunhofer IML zurück. Was ist heute anders als zu Ihrem Start? Wie hat sich die Logistikforschung seither verändert?« 

Henke: In den letzten elf Jahren seit meinem Start in Dortmund hat sich die Forschung in Logistik und Supply Chain Management – nicht zuletzt unter dem Einfluss der teilweise disruptiven Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft der letzten Jahre, aber auch wegen des Durchbruchs neuer Technologien wie KI – enorm weiterentwickelt. Insofern ist das Ökosystem am Wissenschaftsstandort Dortmund noch deutlich breiter und vielfältiger geworden, als es 2013 ohnehin schon war.

Gleichgeblieben sind glücklicherweise zwei Dinge: 1. Wir haben und verfolgen in Ruhe einen strategischen Plan, der noch weit in die Zukunft reicht; 2. Die Logistik ist immer wieder die Disziplin, in der neue Technologien als Erstes durchbrechen. In Zukunft wollen wir noch stärker für diese Technologien neue Geschäftsmodelle entlang von Supply Chains entwickeln.

»Die Logistik ist immer wieder die Disziplin, in der neue Technologien als Erstes durchbrechen. In Zukunft wollen wir noch stärker für diese Technologien neue Geschäftsmodelle entlang von Supply Chains entwickeln« 

-Univ. Prof. Dr. habil. Dr. h. c. Michael Henke 

 

Clausen: In den über 23 Jahren, in denen ich jetzt Institutsleiter am Fraunhofer IML sein darf, hat sich viel verändert. Damals hatte der Online-Handel gerade erst begonnen, heute hat er in (fast) allen Warenkategorien Bedeutung und wir stellen uns der Frage, wie im Sinne von »Unified Commerce« die kanalübergreifende Koordination von Distributionsprozessen in Echtzeit gesteuert werden kann. Damals war vom Internet der Dinge noch nicht die Rede, heute sehen wir, wie viele Aspekte des Konzepts in realen Logistiksystemen funktionieren. Damals haben wir gesagt, dass auch die ökologische Bewertung wichtig ist, heute wissen wir viel besser, wie wir das operativ machen, haben an der ISO 14083 mitgearbeitet und treiben die Transformation zu einer treibhausgasarmen Logistik voran. Damals hatten wir die Grundlagen von DISMOD geschaffen und schon eine Reihe von Projekten in Industrie und Handel realisiert, aber heute ist diese Software der Verkehrslogistik webbasiert verfügbar, mit multimodalen Features verbessert und mit 300 Projekten sowie fünf lizenzierten Anwendungen die wahrscheinlich erfolgreichste des Fraunhofer IML. Von KI war zwar in der Wissenschaft schon damals die Rede, aber erst heute können wir das Potenzial wirklich nutzen und breit in die Anwendung bringen. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit und agile Arbeitsformen haben eine stärkere Bedeutung und bringen uns neue Chancen. Was wahrscheinlich immer bleiben wird, sind die Anforderungen, besten Logistik-Service bei günstigstem Einsatz von Ressourcen zu ermöglichen, aber das (berechtigte!) Selbstbewusstsein der Logistik hat zugenommen. Durch die Orchestrierung von Waren- und Informationsflüssen leistet die Logistik wichtige Beiträge zum Erfolg von Unternehmen und Volkswirtschaften. Das gilt ganz allgemein, aber als Institut konnten wir über die letzten zwei Jahrzehnte dazu viel beitragen.

»Das (berechtigte!) Selbstbewusstsein der Logistik hat zugenommen. Durch die Orchestrierung von Waren- und Informationsflüssen leistet die Logistik wichtige Beiträge zum Erfolg von Unternehmen und Volkswirtschaften«

- Prof. Dr.-Ing. Uwe Clausen

Fraunhofer IML Institutsleiterin Alice Kirchheim am Tisch sitzend
© Fraunhofer IML

»Frau Prof. Kirchheim, Sie haben die Nachfolge von Prof. Michael ten Hompel angetreten, der das Institut über 20 Jahre lang geprägt hat. Auf welche Themen werden Sie den Fokus Ihrer Forschung legen und möchten Sie auch neue Schwerpunkte am Institut und am Lehrstuhl für Förder- und Lagerwesen setzen?« 

Kirchheim: Sie haben es schon gesagt. Prof. Michael ten Hompel hat die Intralogistik in den letzten Jahrzehnten maßgeblich geprägt und mit seinem Engagement hier am Fraunhofer IML mit seinen Kollegen und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen großen Beitrag zu dem Ökosystem geleistet. Außerdem hat er mit seiner ganzheitlichen und visionären Sichtweise Themen und Begriffe wie das Internet der Dinge, die simulationsbasierte KI und das Digitale Kontinuum vorangetrieben. Insofern hatte ich das große persönliche Glück, die Institutsleitung für einen sehr gut gewachsenen und laufenden Bereich zu übernehmen. Für mich geht damit aber auch einher erstmal anzukommen, denn für mich gilt »never change a running system«. Mein kurzes Zwischenresümee nach knapp 100 Tagen am Fraunhofer IML ist, dass wir mit den richtigen Themen unterwegs sind. Gerade in den Bereichen mobile Robotik und Künstliche Intelligenz werden wir auch weiterhin unterwegs sein. Sehr aktuell ist die Forschung über die Anwendung von großen Sprachmodellen für den Einsatz in der Industrie. Aber auch da haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon erste Projekte mit unseren Partnern in der Umsetzung. Genau dasselbe gilt für den Lehrstuhl für Förder- und Lagerwesen, an dem Dr. Moritz Roidl seit vielen Jahren einen wesentlichen Beitrag für die inhaltliche Gestaltung leistet. Mir ist es wichtig, das Fraunhofer IML und den Lehrstuhl weiterhin eng zu vernetzen, denn aus der grundlagenorientierten Forschung entstehen relevante Themen für die angewandte Forschung und daraus wiederum der Transfer in die Industrie. Parallel dazu werden wir aktiv neue Themen bearbeiten und in unsere Forschungsagenda übernehmen.

»Welche Themen werden Ihre Institutsbereiche Materialflusssysteme, Unternehmenslogistik und Logistik, Verkehr und Umwelt bzw. die dazugehörige Forschung in den kommenden Jahren prägen?« 

Kirchheim: In vielen hochperformanten intralogistischen Systemen befinden sich heute kilometerweise Stetigförderer und je nach Anwendung auch große Sorter. Diese Anlagen sind unflexibel. Sie haben lange Installationszeiten, sind aufwendig in der Wartung und Instandhaltung und sind dazu auch nur mit großem Aufwand an andere Gegebenheiten anpassbar. Autonome mobile Roboter hingegen sind flexibel und haben die eben genannten Nachteile nicht. Sie sind für intralogistische Transportaufgaben die Zukunft. Wir haben mit dem LoadRunner, dem evoBOT und mit O3 dyn in den letzten Jahren einen großen Schritt in die Forschung und Entwicklung von mobilen Robotern für die Logistik der Zukunft gemacht. Hier gilt es, am Ball zu bleiben. Am Horizont dessen, was in der Zukunft passieren wird, sind außerdem bereits die humanoiden Roboter zu sehen. In den letzten Monaten gab es einige Pressemitteilungen von großen Konzernen, die Kooperationen mit Unternehmen eingegangen sind bzw. auch erste Tests in der Produktion und Logistik machen werden. Und eins ist klar: Ein großes Anwendungsfeld für humanoide Roboter wird die Logistik sein. Und in allen diesen Entwicklungen steckt Künstliche Intelligenz.

»Ein großes Anwendungsfeld für humanoide Roboter wird die Logistik sein« - Prof. Dr. . Ing. Alice Kirchheim

Aber ich möchte ergänzen, dass wir hier am Fraunhofer IML nicht nur an immer neuen Trends und Themen arbeiten. Bei uns arbeiten auch sehr viele Menschen an spannenden Dauerbrennerthemen. Hierzu gehören zum Beispiel nachhaltige Verpackungen, ergonomische Arbeitsplätze durch den Einsatz von Assistenzsystemen, unsere »warehouse logistics«-Plattform und weiterhin die Digitalisierung durch die Schaffung von durchgängigen Informationsprozessen in der Logistik.

Henke: Die Unternehmenslogistik wird sich immer mehr zum Supply Chain Management entwickeln, in dem Material-, Informations- und Finanzfluss tatsächlich geschlossen sind. So entwickeln wir gerade in Industrieforschungsprojekten die Grundlagen für ein finanzielles und grünes Gehirn von Digitalen Zwillingen. Auf diese Weise können zukünftig die Simulationen im virtuellen Raum nicht nur auf Basis von physischen Daten, sondern auch mithilfe von Finanzdaten durchgeführt werden. Die Optimierungen werden dadurch vom Rohstofflieferanten bis zu den Endkundinnen und -kunden verbessert, in Echtzeit. Dies ist dann auch die Grundlage für eine echte zirkuläre Wertschöpfung, an der wir alle gemeinsam und interdisziplinär arbeiten müssen, um den Klimawandel aufzuhalten

© Fraunhofer IML - Michael Neuhaus

»Geschlossene Material-, Informations- und Finanzflüsse sind die Grundlage für eine echte zirkuläre Wertschöpfung, an der wir alle gemeinsam und interdisziplinär arbeiten müssen, um den Klimawandel aufzuhalten «

-Univ. Prof. Dr. habil. Dr. h. c. Michael Henke 

 

Fraunhofer IML Institutsleiter Michael Henke am Tisch sitzend.
© Fraunhofer IML

Damit bewegen wir uns immer weiter hinein ins digitale Kontinuum, dessen Ökosystem die Silicon Economy bereitstellt und wofür wir alle Technologien in Händen halten. Diese Technologien kommen immer mehr auf dem Shopfloor von Unternehmen zum Einsatz, während sie auf dem Topfloor oft noch nicht als Entscheidungsgrundlage z. B. für das Finanzressort herangezogen werden. Das muss und wird sich ändern, wenn in Zukunft die Idee einer zirkulären Wertschöpfung realisiert werden soll. Im Sinne eines zirkulären Supply Chain Management können dann Nachhaltigkeitsthemen genauso wie Resilienzthemen adressiert werden. Dafür ist es zwingend notwendig, dass die vorhandene Technologie um das für deren Einsatz weiterentwickelte Management komplementär ergänzt wird, im besten Sinne des Technologiemanagements. Wir entwickeln am Wissenschaftsstandort Dortmund das Technologiemanagement weiter, indem neue Technologien in das Supply Chain Management integriert und dabei in ihrer Konvergenz zusammengebracht werden. Dabei gehen wir weiter als die bisherigen Ansätze zur digitalen Transformation und nehmen Wertschöpfungsnetzwerke insgesamt in den Blick. Die betriebswirtschaftliche Operationalisierung von neuesten Technologien ist eng mit deren ökonomischer Betrachtung und Bewertung verbunden. Damit sind nur einige Themen angesprochen, die die Forschung in Unternehmenslogistik und Supply Chain Management der nächsten Jahre prägen werden.

Fraunhofer IML Institutsleiter Uwe Clausen am Tisch sitzend
© Fraunhofer IML

Clausen: Logistik ist mehr als Transport, aber Logistik wird ohne den Güterverkehr nie auskommen. Wir erarbeiten in unseren Projekten und mit unseren Kundinnen und Kunden innovative Lösungen, um die Strukturen und Abläufe der Verkehrslogistik hinsichtlich ihrer Effizienz, Nachhaltigkeit und Anpassungsfähigkeit stetig zu verbessern. Dabei spielen seit Jahren die Digitalisierung und das Ziel der Nachhaltigkeit eine wesentliche Rolle. Wir erkennen und nutzen das Potenzial von Künstlicher Intelligenz und Maschinellem Lernen. Wir sehen ein starkes Interesse an multimodalen Logistiklösungen. Mit dem Ziel, Logistik und Verkehr nachhaltiger zu gestalten, geht es in vielen Forschungsprojekten jetzt und in absehbarer Zukunft um den Einsatz von Elektrofahrzeugen zur Reduzierung von CO2 -Emissionen und um alternative Kraftstoffe. Effiziente Lösungen für die Lieferung auf der letzten Meile, nicht nur, aber oft in städtischen Gebieten, und das Ziel einer lärmarmen Logistik sind weitere wichtige Themen. Dabei werden die Rolle des Menschen in seiner Funktion in transportlogistischen Prozessen, ein gutes Verständnis von Mensch-System-Interaktionen und die Anpassungsfähigkeit von Logistiksystemen von großer Bedeutung sein.

»Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde. Welchen Einfluss wird sie in den kommenden Jahren auf Ihren jeweiligen Institutsbereich haben und wie werden wir als Gesellschaft davon profitieren?« 

Henke: KI hat einen riesigen Einfluss auf Logistik im Allgemeinen und die Unternehmenslogistik im Besonderen. Large Language Models und Foundation Models werden zukünftig auch verstärkt entlang von Supply Chains eingesetzt, um diese besser als jemals zuvor managen zu können – sei es bei der Bedarfsprognose oder beim Risikomanagement, sodass wir z. B. sicher sein können, dass der morgens frisch aufgebrühte Kaffee tatsächlich aus nachhaltigem Anbau stammt. Bei welchem Einsatzgebiet von KI auch immer – es wird auch zukünftig darum gehen, Technologien miteinander zu verbinden und neue Geschäftsmodelle abzuleiten. Wir starten beispielsweise mit SKALA gerade ein großes, vom BMDV gefördertes Projekt, in dem skalierbare KI- und Blockchain-Lösungen zur Automatisierung und Autonomisierung in Wertschöpfungsnetzwerken entwickelt werden. Deren Einsatz ist hier deshalb so herausfordernd, weil eine Vielzahl wirtschaftlich unabhängiger Partner Daten, Güter und Werte austauschen, die einander nicht notwendigerweise vertrauen. Das Heben des Potenzials von KI setzt Transparenz und Datensouveränität voraus, die durch die Blockchain-Technologie realisiert werden können. Die KI- und Blockchain-Komponenten, die in SKALA in Form von Softwarebausteinen, KI-Modellen, Smart Contracts und Adaptern zur Anbindung von Drittsystemen als Open Source entwickelt werden, bieten die einzigartige Möglichkeit, schnell und effizient De-facto-Standards für eine Technologiekonvergenz zu schaffen und zu verbreiten, wie es für einzelne Unternehmen nicht möglich wäre.

Clausen: Die KI hat in den letzten Jahren eine enorme Entwicklung genommen und durchdringt immer mehr Bereiche unseres Alltags und des Wirtschaftslebens. Sie kann uns helfen, repetitive Aufgaben automatisiert erledigen zu lassen. Sie führt schon heute zu mehr und besser personalisierter Information, kann Routenempfehlungen oder Gerätesteuerungen – von Logistikanlagen bis zu Smarthome-Anwendungen – verbessern helfen. Für die Analyse großer Datenmengen bietet sie ganz neue Möglichkeiten, und auch das Potenzial im kreativen Bereich (Text, Bild oder Video) ist beeindruckend. Wenn wir in der Verkehrslogistik z. B. Bilder und große Datenmengen effizient analysieren, dann wird das helfen, Betriebsabläufe und Planungsentscheidungen zu verbessern. In der maritimen Logistik koppeln wir erfolgreich Spracherkennung und Funkortung auf See. Im Healthcare-Bereich kann die Diagnosequalität verbessert und hoffentlich auch die nötige Dokumentation von Therapie und Pflege effizienter erfolgen. In all diesen Bereichen arbeiten wir als Fraunhofer IML am Puls der Zeit und schaffen durch Innovationen Werte für unsere Partner in Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen.

Kirchheim: Gerade in den letzten beiden Jahren haben die großen Sprachmodelle die Nutzbarkeit von Künstlicher Intelligenz im beruflichen und privaten Alltag in das Zentrum der Aufmerksamkeit katapultiert. Nun geht es darum, aus dem ersten Hype heraus Anwendungen für die Industrie zu entwickeln. Ein tolles Beispiel für die praktischen Möglichkeiten ist das automatische Generieren von Nachhaltigkeitsberichten. Wir entwickeln eine Lösung, um Daten aus einem ERP-System automatisch zu generieren, diese Daten zusammenzuführen und, falls es erforderlich ist, Berechnungen durchzuführen, um diese dann nach den geltenden Regelungen in einen Nachhaltigkeitsbericht zu überführen. Ich kenne niemanden, der solche Aufgaben gerne zu Fuß macht, und außerdem ist das eine sehr fehleranfällige Tätigkeit. Wenn solche Tätigkeiten wegfallen, können sich Fachkräfte künftig auf das konzentrieren, was wir Menschen am besten können. Wenn Sie das weiterdenken und mal sammeln, wie viele solcher Aufgaben es in Unternehmen gibt, dann wird davon die gesamte Gesellschaft profitieren.

»Große Sprachmodelle haben die Nutzbarkeit von Künstlicher Intelligenz im beruflichen und privaten Alltag in das Zentrum der Aufmerksamkeit katapultiert. Nun geht es darum, aus dem ersten Hype heraus Anwendungen für die Industrie zu entwickeln«

-Prof. Dr.-Ing. Alice Kirchheim 

 

»Herr Prof. Clausen, Sie sind Vorsitzender der Fraunhofer-Allianz Verkehr, die seit über 20 Jahren erfolgreich die verkehrsrelevanten Kompetenzen zahlreicher Fraunhofer-Institute bündelt. Welche Rolle kann eine starke wissenschaftliche Allianz im politischen Berlin einnehmen (Stichwort Verkehrswende)?« 

Clausen: Wir sind als neutrale Instanz der Wissenschaft zwischen Wirtschaft und Politik immer wieder gefragt. Dabei können und wollen wir als Institution nicht Partei und auch keine Lobby-Organisation sein, auch wenn wir persönlich bestimmte Ziele natürlich gern unterstützen und uns dies auch motiviert, mit unserer Forschung zu besseren Lösungen in der Wirtschaft und für die Mobilität der Gesellschaft beizutragen. Welche Ziele im Detail wichtiger und welche Lösungen besser oder vielleicht auch erforderlich sind, da gehen die Meinungen auch bei Fraunhofer nicht immer in die gleiche Richtung und das finde ich ausdrücklich auch zulässig. Wichtig für ein Fraunhofer-Institut oder uns gemeinsam als Allianz Verkehr sind aber die Nachvollziehbarkeit von Ergebnissen und die Qualität des wissenschaftlichen Arbeitens, mit denen wir diese herleiten. 

»Herr Prof. Henke, wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie das Fraunhofer IML und die Logistikforschung in zehn Jahren? « 

Henke: Wir sind heute schon »the place to be« für anwendungsorientierte Forschung in Logistik und Supply Chain Management, in Deutschland, in Europa und auf der Welt. Diese Stellung wollen wir beibehalten und ausbauen, indem wir mehr und mehr die Logistik nicht nur als erstes Anwendungsfeld für neue Technologien zeigen, sondern im nächsten Schritt deutlich machen, dass die in der Logistik originär entwickelten Technologien und Geschäftsmodelle auch für andere Funktionsbereiche und Industrien sinnvoll zum Einsatz kommen können. Wo wir in zehn Jahren stehen, kann ich in diesen wilden Zeiten nicht seriös vorhersagen. Mit Blick auf unser SKALA-Projekt habe ich aber z. B. das Ziel, dass man, wenn es um die generelle Verbindung von KI und Blockchain geht, in zwei bis drei Jahren auch außerhalb von Logistik und Supply Chain Management nicht an Dortmund vorbeikommt.