Künstliche Intelligenz als Schülerin für die Realität

Künstliche Intelligenz (KI) wird die Zukunft der Logistik bestimmen – so viel steht fest. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass statistische Modelle und Datenbanken in den Lagern der Welt nicht ausreichen. Wir brauchen zusätzlich intelligente Agenten, die uns in der echten Welt zur Hand gehen können, die »Embodied Artificial Intelligence (AI)«. Wie wir KI aus der digitalen Welt in die Realität übertragen, ist eine der letzten Prüfungen auf dem Weg in das digitale Kontinuum. Und das Lamarr-Institut für Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz ist ganz vorne mit dabei.

 

In einem fremden Land, in dem keiner deine Sprache spricht, ist ein Jeder nahezu aufgeschmissen. Nach unzähligen Fehlversuchen funktioniert irgendwann vielleicht die Verständigung, der Weg dahin ist dennoch lang und beschwerlich. Ähnlich verloren dürfte auch eine Künstliche Intelligenz sein, wenn wir sie auf die reale Welt loslassen. Um physische Aktivitäten einer KI in die reale Welt zu übertragen, wird ein Roboter benötigt, in dem sie verkörpert werden kann. Das nennt sich dann »Embodied Artificial Intelligence (AI)«. Würde nun dieser mühsam und in unzähligen Arbeitsstunden erschaffene Roboter in der realen Welt, ähnlich wie wir, durch Ausprobieren und auch durch Fehler lernen, würde das ziemlich teuer werden. Darum lernt die KI erst in einer Simulation, wie sie sich in der realen Welt zu verhalten hat.

Back to school

Jene Simulation ist eine Art Schule für den autonomen Roboter. In einer geschützten Umgebung können Forschende ihn mit den Problemen konfrontieren, die ihm auch in der realen Welt begegnen können. Denn die Herausforderung der realen Welt ist, dass nicht immer vorhersagbar und statistisch berechenbar ist, was passieren wird. Daher zeigen die Forschenden der KI möglichst viele Situationen, auf die sie reagieren muss. Dazu werden auf den Sensoren in der Simulation variable physikalische Eigenschaften wie beispielsweise ein simuliertes Bild oder Reibwerte des Bodens erzeugt. Außerdem werden die Struktur und die Lastszenarien in den Simulationsmodellen variiert, um sicherzustellen, dass die Roboter optimal auf die verschiedenen logistischen Prozesse in der Realität vorbereitet sind und der Einsatz im physischen System reibungslos läuft. Um den Modellierungsaufwand gering zu halten, wird ein Verfahren entwickelt, das diese Modelle automatisch und randomisiert erzeugen kann. Macht die KI ihre Sache gut, wird das Verhalten positiv bewertet und sie wird das nächste Mal auf diese Situation ähnlich reagieren. Diese Art, eine KI zu lehren, wird auch Deep Reinforcement Learning genannt. Am Lamarr-Institut für Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz in Dortmund hat sich die Methode bewährt. Das Lamarr-Institut konzentriert sich auf die Erforschung und Entwicklung leistungsstarker, vertrauenswürdiger und ressourceneffizienter KI-Anwendungen. Als einer der vier Träger forscht das Fraunhofer IML im Rahmen des Lamarr-Instituts an dem optimalen Design von Embodied AI und ihrem Einsatz in der Logistik.

Mit gutem Beispiel voran

Der Roboter evoBOT
© Fraunhofer IML

Einer der Musterschüler in dem Bereich der Embodied AI ist der evoBOT, ein agiler, hochdynamischer Roboter. Der evoBOT gehört zu einer neuen Generation autonomer Robotersysteme und kann in allerlei Situationen den Mitarbeitenden im Lager zur Hand gehen und zum Beispiel Dinge anreichen. Sein Design als inverses Pendel ermöglicht zum einen vielseitige Einsatzmöglichkeiten, zum anderen muss er sich dafür beim Fahren ständig ausbalancieren. Einer der Forschungsaspekte im Lamarr-Institut beschäftigt sich beispielsweise damit, wie auch der evoBOT durch Deep Reinforcement Learning in einer Simulation lernt, seine ersten Schritte zu machen.

Kollisionen im Klassenzimmer

Neben der Forschung an einzelnen verkörperten Robotern sind Roboterschwärme ein weiterer zentraler Bereich. Denn in den Lagern der Zukunft fährt nicht nur ein einzelner Roboter durch die Hallen. Während in vielen der bisher existierenden Systeme ein Roboterschwarm zentral gesteuert wird, ist der Ansatz in Dortmund ein anderer. Die Steuerung der Agenten funktioniert dezentral, was vor allem im Hinblick auf die Flexibilität und Störanfälligkeit enorme Vorteile birgt. In Zukunft wollen die Forschenden auch die Kommunikation unter den Robotern möglich machen. Denn auch diese Systeme lernen durch Deep Reinforcement Learning. Jeder einzelne der Roboter muss dazu durchgehend seine Umgebung analysieren, um effizient und kollisionsfrei zu agieren. Ebendiese ständige Analyse aller Sensoren in der Simulation realistisch abzubilden, ist aber unglaublich teuer und aufwendig. Daher haben Forschende des Fraunhofer IML statt eines dreidimensionalen Modells ein einfacheres 2DModell erschaffen, mit dem der Agent schneller lernen kann, nicht zu kollidieren. Das funktionierte in einigen Szenarien schon gut, muss aber in Zukunft noch weiter verfeinert werden. Denn durch diese beiden Projekte wurde den Forschenden noch ein ganz anderes Problem immer deutlicher

Mind the Gap!

Nach unzähligen Stunden in der Schule für die KI, der simulierten Realität, ist es nun endlich soweit. Der Abschluss, und damit die ersten Schritte in der realen Welt, stehen an. Die Embodied AI kann aber nicht einfach in die reale Welt losge lassen werden. Vorher muss der Roboter die Sim-to-Real Gap überwinden, die genau diese Diskrepanz zwischen Simulation und Realität beschreibt. Erst dann können die Agenten souverän in der physischen Welt agieren und interagieren. Die Vorbereitung dafür beginnt noch in der Simulation. Denn zentral für die Erfolge in der echten Welt ist die optimale Lernumgebung in der Simulation. Dazu müssen Forschen de komplexe physikalische Modelle und eine enorme Zahl an Varianten verwenden. Nur durch unerwartete Situationen und viel Training werden die in der Simulation erlernten Ver haltensweisen möglichst robust, um auch in der realen Welt anwendbar zu sein. Die simulierte Welt so nah wie möglich an die reale Welt herankommen zu lassen, ist eine der letzten Herausforderungen auf dem Weg in das digitale Kontinuum. Jene Herausforderung sind die Forschenden am Fraunhofer IML bereits beim mobilen Roboter O3dyn angegangen. Dieser transportiert Paletten mit rasanten Geschwindigkeiten, entsprechend ist eine möglichst akkurate Simulation das Ziel, um mögliche Gefahrensituationen in der Simulation zu proben. Das verblüffende Ergebnis: Die Forschenden kön nen dem realen und dem simulierten Roboter die gleichen Fahrbefehle senden und erhalten das gleiche Fahrverhalten. Besonders herausfordernd bei der Entwicklung von O3dyn war dessen Luftfederung, die zu Beginn noch sehr steif und wenig realitätsnah war. Auch bis zur realitätsnahen Abbildung des omnidirektionalen Fahrwerks mit Mecanumrädern dauerte es seine Zeit. Heute sind die Forschenden dank mo derner Simulationstools und der Nutzung von Fahrdaten des realen Roboters so weit vorangeschritten, dass dessen Dynamik auch in der Simulation heraussticht. Auch Schnittstellen und Sensorik, wie Kamera- und LiDAR-Daten, werden nachgebildet. So kann das Simulationsmodell perfekt zur parallelen Hard- und Softwarentwicklung oder fürs Testen von Anwendungsszenarien verwendet werden. 

© Fraunhofer IML

Meine Zwillingsschwester

Um die Sim-to-Real Gap zu überwinden, brauchen wir Digitale Zwillinge, also Eins-zu-eins-Simulationsmodelle der Hardware. Dies erforscht das Fraunhofer IML aktuell unter anderem anhand der beiden Roboterplattformen evoBOT und O3 dyn. Die Simulation soll dabei zu einer digitalen Realität für die Künstliche Intelligenz werden. Die Unterscheidung, ob sie auf dem realen oder auf dem simulierten System ausgeführt wird, wird dabei für die KI immer schwieriger. So können Forschende die KI virtuell entwickeln und die Relevanz der Sim-to-Real Gap Schritt für Schritt verringern

Anike Murrenhoff

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M.Sc. Anike Murrenhoff

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Julian Eßer, M.Sc.

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Julian Eßer, M.Sc.

Wissenschaftlicher Mitarbeiter - KI und Autonome Systeme

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