City-Logistik neu gedacht

Trotz des technologischen Fortschritts und politischer Interventionen verursacht der urbane Güterverkehr nach wie vor Probleme. Alternative Mobilitätsangebote sind also dringend erforderlich – auch in der Paketzustellung. Die belgische Stadt Mechelen hat in einem Praxistest erstmals automatisierte elektrische Fahrzeuge bei der Innenstadt-Belieferung eingesetzt. Das Ergebnis: Deren Potenzial, Transporte nachhaltiger und effizienter zu gestalten, ist weitaus größer als erwartet. 

In unseren Städten herrscht jede Menge Verkehr. Die Menschen sind permanent unterwegs. Mal eben ein Eis essen, in der Apotheke ein Rezept einlösen oder schnell noch das Paket zur Post bringen, bevor die Filiale schließt. Gründe, immer wieder spontan den Pkw zu nutzen, gibt es viele. Doch die Folgen sind verheerend. Das Straßennetz vieler Städte ist überlastet, die Parkräume sind so knapp wie nie, und die Bevölkerung leidet unter Staus, schlechter Luft und anhaltendem Lärm. Mit »ALEES« (Autonomous Logistics Electric EntitieS for City Distribution), einem neuen Konzept für die innerstädtische Warenbelieferung, soll sich das zukünftig ein Stück weit ändern. 

Denn mit dem Einsatz automatisierter elektrischer Fahrzeuge lassen sich gleich mehrere Probleme angehen. »Zum einen macht die Elektromobilität die urbane Versorgung umweltfreundlicher und leiser. Zum anderen lässt sich mithilfe vernetzter Fahrzeuge die Warenzustellung dynamischer gestalten und der Servicegrad für die Kunden erhöhen«, berichtet Maximilian Schellert vom Fraunhofer IML. Seit Februar 2017 arbeitet er gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft und dem »Vlaams Instituut voor de Logistiek VIL«, auf dessen Initiative das Projekt »ALEES« zurückzuführen ist, an der Umsetzung. Das Ziel hierbei: nachfrageorientierte Belieferung, insbesondere von Händlern und Gastronomen in der Stadt. 

 

Ein Fahrzeug, viele Nutzer

Für die beteiligten Wissenschaftler stellte sich zunächst die Frage, wie das System auszugestalten ist, so dass es sowohl von Logistikdienstleistern als auch von den Endkunden akzeptiert und genutzt wird. Denn die bestehenden Lösungen der Warenbelieferung verursachen zwar Lärm, Luftverschmutzung und Staus, aber sie funktionieren in der Regel. Keine leichte Aufgabe also, ein neues System zu entwerfen und zu etablieren, das das bestehende lückenlos ersetzt und sogar noch übertrifft. Um die Einsatzmöglichkeiten und die Use Cases für elektrisch automatisierte Fahrzeuge im urbanen Umfeld zu eruieren, mussten daher sämtliche Aspekte – von den technischen Rahmenbedingungen bis hin zur Realisierung – genauestens unter die Lupe genommen werden.

»Eine wichtige Vorgabe aus dem Projekt war, dass mehrere Logistikdienstleister dasselbe Fahrzeug nutzen sollten«, erklärt Schellert. In der Umsetzung würde dies bedeuten, dass Lieschen Müller – Restaurantbesitzerin in der Innenstadt – ihre Warenlieferungen je nach Absender zukünftig nicht mehr über die einzelnen Paketzusteller wie etwa Hermes, GLS oder DHL erhält, sondern über ein automatisiertes elektrisches Fahrzeug, das die Pakete aller Logistikdienstleister in einer Tour zustellt. 

 

Gewinn für Zusteller und Empfänger

Neben den offensichtlichen Vorteilen, wie Reduzierung schädlicher Stickstoffdioxide und Verminderung des Verkehrsaufkommens, wäre die Umstellung ein Gewinn für Zusteller und Empfänger gleichermaßen. Da das Fahrzeug die Fußgängerzone immer wieder hoch- und herunterpendelt und dem Empfänger per Handy avisiert, wann es das nächste Mal seinen Standort passiert, hat dieser die Möglichkeit, das Paket zu einer für ihn passenden Uhrzeit entgegenzunehmen. Konkret bedeutet das weniger missglückte Zustellversuche und keine gestressten Fahrer. Diese wären nur noch für das Be- und Entladen des Fahrzeugs zu Beginn und am Ende eines Tages zuständig. Gleichwohl könnte diese Arbeit auch über geeignete Maschinen erfolgen. Logistikunternehmen und deren Kunden profitieren also von einem verbesserten Servicegrad, höheren Lieferfrequenzen und flexibleren Zustellungen, beispielsweise auch zu Tagesrandzeiten. Gleichzeitig werden die Städte attraktiver und sauberer, weil dort weniger Verkehr herrscht und leise, emissionsfreie Fahrzeuge lokal unterwegs sind. 

Bei dem im Mai 2018 durchgeführten Praxistest im belgischen Mechelen wurden auf diese Weise fünf Händler und Gastronomen mit in Trockeneis verpackten Waren beliefert. Das Fahrzeug – ein kompaktes Shuttle des Kooperationspartners »Easy Mile« – bewegte sich dabei lautlos und wie ferngesteuert durch die Fußgängerzone der Stadt. Die Resonanz auf die Vorstellung war durchweg positiv, weiß Schellert: »Die Testläufe waren ein richtiges Ereignis in der Stadt. Alle Mitarbeiter, aber auch Passanten haben sich versammelt und die Zustellung der Pakete verfolgt. Für uns war es toll, dies zu beobachten, denn bei neuen Technologien ist es auch stets wichtig, eine möglichst breite Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu schaffen.«

Drei Konzepte für eine Vernetzungsinfrastruktur

Damit alle am Prozess Beteiligten zu jeder Zeit einen Überblick darüber haben, wo sich das Fahrzeug befindet und ob es gerade voll beladen oder leer ist, war die Entwicklung einer geeigneten Vernetzungsinfrastruktur von besonderer Bedeutung. Aufgrund langjähriger Erfahrung im Bereich des autonomen Fahrens wurde dieser Part dem Fraunhofer IML zugewiesen. Das Team um Maximilian Schellert hat in der Folge zunächst analysiert, wo die erforderlichen Schnittstellen liegen und wie die Kommunikationsinfrastrukturen aussehen. »Man muss sich fragen, mit wem das Fahrzeug interagieren muss, also mit Dienstleistern und Empfängern, und welche Daten im Zuge dessen ausgetauscht werden müssen«, so der Wissenschaftler. 

Entstanden sind drei mögliche Konzepte, die unterschiedlichste Vor- und Nachteile mit sich bringen: Das erste setzt auf die Direktverbindung der Partner innerhalb der städtischen Lieferkette. Dies bedeutet, dass der »Hub Operator« direkt mit den Logistikunternehmen kommuniziert und diese wiederum mit ihren Kunden. Die zweite Lösung basiert auf einer neutralen, offenen Plattform für den Datenaustausch, über die sämtliche Partner vernetzt sind. Alle Daten liegen zentral auf dieser Plattform und sind somit für alle Beteiligten Partner einsehbar. Eine im Hinblick auf die Daten geschütztere Variante stellt das dritte Konzept dar: »Hierbei handelt es sich um einen ›Urban Logistics Data Space‹ nach dem Vorbild des Industrial Data Spaces, der Unternehmen eine dezentrale souveräne Bewirtschaftung ihrer Daten ermöglicht«, sagt Schellert. Die Technologie befinde sich zwar noch in der Erprobung, Vorteil sei aber, dass jeder Partner nur Zugriff auf die Daten erhält, die ihn selbst betreffen. Alle anderen blieben geschützt. Für alle drei Varianten gilt, dass sie sich einfach über Apps steuern lassen. 

 

Vielfältige Optionen für die Zukunft

Ob und welches Paket-Shuttle-System sich durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Damit das Projekt überhaupt in der Praxis realisiert werden kann, müssen Logistikdienstleister kooperieren und eine derartige Lösung gemeinschaftlich aufsetzen beziehungsweise nutzen. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass sich ein Start-up findet, das den großen Unternehmen eine hochspezialisierte Innenstadtbelieferung als Service anbietet. Denkbar sind also beide Varianten. 

Darüber hinaus könnten in Zukunft auch in der Innenstadt wohnhafte Privatpersonen von einem automatisierten elektrischen Fahrzeug beliefert werden. Wie das Fahrzeug dann konkret auszusehen hat, ist noch unklar. Der im Test eingesetzte Shuttle eignet sich aber auch für den Personenverkehr. Vorstellbar ist darüber hinaus eine Art rollende Packstation mit abschließbaren Fächern. »Die heutigen Technologien erlauben ganz neue Fahrzeugkonzepte, unserer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt«, resümiert Maximilian Schellert. Bevor es an den Fahrzeugbau geht, heißt es für ihn und seine Projektpartner aber nun erst einmal: Gespräche führen mit weiteren Akteuren, vor allem aber mit Logistikdienstleistern und Kommunen. 

 

Maximilian Schellert

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Maximilian Schellert

Verkehrslogistik

Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML
Joseph-von-Fraunhofer-Str. 2-4
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Telefon +49 231 9743-378

Projektpartner

  • ACP CO2 
  • bpost
  • Bringme
  • DHL PARCEL BELUX
  • en Havenbedrijf Antwerpen
  • Fraunhofer IML
  • Rhenus SML
  • Stad Mechelen
  • Vlaams Instituut voor de Logistiek (VIL)