Supply Chain und Blockchain: Auf kürzestem Weg in die Anwendungspraxis

Die Blockchain ist weitaus mehr als eine Plattform für den Handel mit Kryptowährungen. Vielmehr lässt sich mithilfe der Technologie die Digitalisierung der Wertschöpfungskette vorantreiben. Prozesse können effizienter ausgerichtet werden und auch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle wird erleichtert. In einem aktuellen Kundenprojekt arbeitet ein Team des Fraunhofer IML genau daran.

Blockchain und Smart Contracts haben ein hohes disruptives Potenzial. Nahezu revolutionäre Veränderungen werden nicht nur in der Finanzwelt erwartet. Denn die Dynamik dieser Entwicklung tangiert nahezu alle Wirtschaftszweige und wird vermutlich auch das gesellschaftliche Miteinander verändern. Auf Unternehmensseite stellt die Technologie zum Beispiel infrage, wie diese mit Kunden und Partnern interagieren und welche Dienstleistungen und Produkte zukünftig im Portfolio enthalten sein sollten. Infolgedessen könnten also ganze Geschäftsmodelle, die sich über viele Jahre bewährt haben, kolossal ins Wanken geraten.

© Fraunhofer IML

Automatisierte Transaktionsprozesse

Dem gegenüber steht das Leistungsvermögen der Blockchain-Technologie, Prozesse zu straffen und zu beschleunigen. Davon profitiert neben dem Finanzsektor insbesondere die Logistik. Verschiedenste Vorgänge erfolgen automatisiert, es können Nachweise über sämtliche Transaktionen entlang der Supply Chain erbracht werden, und auch durchgeführte Warentransporte lassen sich verlässlich dokumentieren. Von besonderer Relevanz ist dies unter anderem im Außenhandel, wo auch aus rechtlichen Gründen nach wie vor viel Papier im Umlauf ist. »Der Einsatz der Blockchain-Technologie im Supply Chain Management sorgt weltweit für eine deutlich verbesserte Ressourcennutzung und führt zu beträchtlichen Kosteneinsparungen in Wertschöpfungsnetzwerken«, sagt Natalia Broza-Abut von der Abteilung Einkauf und Finanzen im Supply Chain Management am Fraunhofer IML. »Transportwege werden verkürzt und Unternehmensrisiken dank erhöhter Planungs- sowie Rechtssicherheit gesenkt.« 

Da die Technik Intermediäre, also Mittler in Transaktionsprozessen – wie etwa Zwischenhändler, Banken, Versicherungen, Verwaltungen, Notariate – überflüssig macht, könnten Blockchain und Smart Contracts der Schlüssel zu einer verschlankten, agileren und gleichzeitig effizienteren Supply Chain sein. Dienstleistungen Dritter werden nicht mehr benötigt, die Partner kommunizieren ohne Umwege miteinander und vertrauen ihre Daten einem System an, über das diese nachträglich nicht mehr verändert werden können. Informationen jedweder Art sind auf diese Weise verifiziert und gleichzeitig manipulationssicher. Stichwort: Irreversibilität.

 

Fundierte Forschung für eine zukunftssichere Praxis

Um potenziellen Anwendern die Skepsis zu nehmen und sie bei der Einführung der Technologie zu unterstützen, hat das Team des Fraunhofer IML unter der Leitung von Dr. Axel T. Schulte ein umfangreiches Leistungspaket geschnürt. Dieses erstreckt sich von der Use-Cases-Identifizierung für die Entwicklung von Smart Contracts über Machbarkeitsanalysen sowie Kosten-Nutzen-Bewertungen bis hin zur Durchführung von Pilotprojekten für Blockchain-basierte Geschäftsprozesse. Dazu Schulte: »In diesem Kontext ist es wichtig zu erwähnen, dass wir Unternehmen nicht dazu ermuntern, einem Hype zu folgen. Vielmehr sollen wirkungsvolle Anwendungen gemeinsam auf einer wissenschaftlich fundierten Grundlage entwickelt werden.«

Derzeit befinden sich am Fraunhofer IML mehrere Blockchain-Projekte in der Pipeline beziehungsweise Bearbeitung. Und wer nun glaubt, die Technologie sei nur für Global Player interessant, der irrt. So ist beispielsweise seit kurzem eine inhabergeführte Technische Großhandlung mit an Bord. Um die eigene Marktposition in einem wettbewerbsintensiven Umfeld zu stärken, will das mittelständische Familienunternehmen über das vorhandene Portfolio hinaus erweiterte, datenbasierte Services und Dienstleistungen anbieten. Diese orientieren sich zum Beispiel an dem mehrfach geäußerten Wunsch der Kunden, deren Bestände an Ersatzteilen und Verbrauchsmaterialien digital und automatisiert zu übermitteln.

 

Neue Geschäftsmodelle flexibel erschließen

Ein derartiges Anliegen impliziert, dass vermehrt Geschäftspartner an die vorhandene IT-Architektur angebunden werden müssen. Entsprechend verschärft sich die Schnittstellenproblematik, aus der wiederum Einschränkungen für die Umsetzung der Digitalisierungsprozesse resultieren. Nicht zu unterschätzen ist ferner der finanzielle Aufwand für die Integration. Denn es ist nicht garantiert, dass das erwartete Umsatzwachstum die damit verbundenen Kosten ausbalanciert. Es verbleibt daher ein hohes unternehmerisches Risiko. Aber auch hier soll das Potenzial der Blockchain greifen: »Unsere bisherigen Erfahrungen und Berechnungen haben ergeben, dass sich die Anbindungskosten durch den Einsatz dieser Technologie auf nur einen Bruchteil des zuvor Veranschlagten reduzieren lassen«, bekräftigt Broza-Abut.

Im Rahmen des initiierten Projekts soll nun unter weitestgehend realistischen Bedingungen der Einsatz der Blockchain-Technologie als kosteneffiziente, sichere und vertrauensfördernde Lösung für den Datenaustausch entwickelt und getestet werden. Zudem ist geplant, nach erfolgreicher Umsetzung die Blockchain-Anbindung selbst als Dienstleistung in Form eines erweiterten Geschäftsmodells anzubieten. Um all dies leisten zu können, war das Team des Fraunhofer IML auch aufgefordert, spezielle Business-Logiken des Technischen Handelsgeschäfts inklusive dessen logistischer Besonderheiten in das Blockchain-basierte Datenaustauschnetzwerk zu implementieren.

Ab Anfang September 2018 erfolgt im ersten Schritt eine Analyse der Ist-Situation, um die Anforderungen an die zu realisierende Anwendung beziehungsweise zukünftige Systemgestaltung präzise definieren zu können. Voraussichtlich Ende des Jahres wird die Neukonzeptionierung der Datenaustauschprozesse abgeschlossen sein. Diese werden zudem unter technischen und wirtschaftlichen Aspekten bewertet. Im Anschluss daran konzentrieren sich die Experten des Fraunhofer IML auf die Technologieentwicklung und die Validierung des Piloten, damit die Übertragbarkeit des Konzepts zur Erschließung digitaler Geschäftsmodelle sichergestellt ist. Von dieser Möglichkeit sollen zukünftig auch weitere Mitglieder des Verbands Technischer Handel profitieren. 

Tipps und Tools aus einer Hand

Unterstützt wird die laufende Umsetzung des Projekts durch die Fraunhofer-IML-eigene Industrie-4.0-Testumgebung, in welcher vielfältige Ressourcen zur Anwendung bereitstehen. Dazu zählen mobile Endgeräte und Embedded Systems zur Überwachung der Lagerbestände von C-Teilen, Server für die Entwicklung von leistungsfähigen Blockchain-Lösungen sowie Auto-ID-Techniken zur Nachverfolgung der Prozesse. Zudem wird ein Know-how-Transfer in puncto Service- und Softwareentwicklung, Plattformentwicklung und Datenmanagement (Big Data) angeboten. »Die Testumgebung des Fraunhofer IML bietet optimale Bedingungen, um die zu digitalisierenden Datenaustauschprozesse unter realistischen Bedingungen zu entwickeln und zu erproben«, betont Natalia Broza-Abut. Erste Anwendungsfälle wurden bereits umgesetzt, unter anderem in Form eines Blockchain- und Smart-Contract-Demonstrators mit Schwerpunkt auf Supply Chains und das Internet der Dinge (IoT). Mithilfe dieses Tools lassen sich die Funktionsweise und Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain-Technologie nahezu spielerisch darstellen. 

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Schon heute fit für die Zukunft

»Eine digitalisierte und vernetzte Supply Chain bietet ein enormes Potenzial, Effizienzsteigerungen infolge beschleunigter, automatisierter Transaktionsprozesse zu erzielen«, resümiert die Blockchain-Expertin. Gleichzeitig würden Schnittstellen harmonisiert beziehungsweise verringert und der manipulationssichere Datentransfer sei ein weiterer elementarer Vorteil. Informationen werden in Echtzeit übermittelt, so dass eine verbesserte Bedarfs- und Distributionsplanung möglich ist. Darüber hinaus könne die Echtheit von Sendungseinheiten oder auch einzelner Objekte dank der lückenlosen Dokumentation garantiert werden.

Im laufenden Projekt ist für das technische Großhandelsunternehmen zudem von Relevanz, eine effektive Lösung zur Harmonisierung von digitalen Schnittstellen umsetzen zu können, die sich auf beliebig viele Partner ausrollen lässt und letztlich auch rechnet. Damit bedient der Mittelständler die steigende Nachfrage nach digitalisierten und Mehrwert schaffenden Versorgungsmodellen und treibt auch die horizontale Vernetzung weiter voran. Auf Basis neuer Geschäftsmodelle sind zukünftige Umsatzsteigerungen denkbar. Darüber hinaus besteht die Chance, interne Prozesse, die teils noch analog und papierbasiert ablaufen, nachhaltig zu verbessern. Wenn alle erforderlichen Dokumente in einer Blockchain festgeschrieben sind, könnten zum Beispiel Revisionen vereinfacht und deutlich schneller durchgeführt werden.

Blockchain und Smart Contracts

Kurz erklärt

Kern der Blockchain-Technologie ist eine dezentral abgelegte Datenbasis, die sich nachträglich nicht verändern lässt und kooperativ für den beschleunigten und sicheren Informationsaustausch in Netzwerken genutzt wird. Mittels »Distributed Ledger« werden vorgenommene Einträge verpackt (= Blöcke) und verschlüsselt und können weltweit verteilt werden. Die Verkettung entsteht, indem jeder neue Block mit einer Referenz auf den vorherigen ausgestattet ist. Dank eines kryptografischen Schlüssels, auch Hash genannt, sind sämtliche Blöcke absolut manipulationssicher.

 

Bei den Smart Contracts handelt es sich nicht um Verträge im herkömmlichen Sinn, sondern um Mechanismen, die nach dem Wenn-Dann-Prinzip arbeiten. Auf Basis verifizierter Informationen wird eine vordefinierte Handlung (Transaktion) ausgelöst, sobald ein bestimmtes Ereignis eintritt. Diese Bedingungen haben die Partner zuvor verbindlich vereinbart. Eine automatisierte Vertragsausführung wird so ermöglicht. Es herrscht vollkommene Transparenz, und dank der digitalen Regelwerke sind zwischengeschaltete Vermittlungsinstanzen (Intermediäre) überflüssig.