Wie ein Exoskelett die Arbeit erleichtert

Sie verleihen zwar keine Superkräfte, doch bei Arbeiten in unbequemer Haltung oder beim Heben schwerer Gegenstände können Exoskelette den Menschen entlasten. Nicht zuletzt aus diesem Grund erlebt der Markt für Exoskelette in den letzten Jahren einen Boom. Die Erwartungen sind hoch, aber einen Wirksamkeitsnachweis in realistischen Arbeitsprozessen gibt es bislang noch nicht. Das wollen Forscherinnen des Fraunhofer IML ändern. 

Für viele Mitarbeiter in der Logistik gehört es zum Arbeitsalltag, schwere Pakete zu transportieren. Über eine Schicht verteilt, sind es manchmal sogar mehrere Tonnen. Nicht immer herrschen dabei ergonomische Arbeitsbedingungen: Beim Bücken zur untersten Regalebene oder beim wiederholten Ablegen von Artikeln auf einer Palette können erhöhte Belastungen auftreten. Das kann Auswirkungen auf die Gesundheit haben: »Die unergonomischen Bewegungen können zum Beispiel zu Rückenschmerzen oder auf lange Sicht zu Muskel-Skelett-Erkrankungen führen«, erklärt Semhar Kinne, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Maschinen und Anlagen am Fraunhofer IML. Exoskelette sollen Mitarbeiter zukünftig bei diesen Arbeiten entlasten. 

 

Aktive oder passive Hilfe?

Unter dem Begriff »Exoskelett« werden am Körper getragene, mechanische Stützstrukturen verstanden, die Bewegungsabläufe, wie das Heben und Absenken von Lasten, oder statische Tätigkeiten, wie das Arbeiten über Schulterniveau, unterstützen sollen. Dadurch können sie dafür sorgen, dass Beschäftigte bei der Arbeit weniger ermüden und leistungsfähiger sind. In der Logistik ist der Einsatz von Exoskeletten vor allem beim manuellen Lasthandling zur Entlastung der Lendenwirbelsäule oder bei Überschulterarbeit zur Entlastung der Schulter-Nacken-Partie denkbar.

Man unterscheidet zwischen passiven und aktiven Exoskeletten: Erstere wirken rein mechanisch und sind damit – bezogen auf ihr Gewicht – leichter zu tragen. Sie verfügen über Federsysteme, die bei bestimmten Bewegungen Energie aufnehmen, die sie während der Gegenbewegung wieder an den Nutzenden abgeben. Aktive Exoskelette dagegen erfassen die Bewegungen der Nutzenden mithilfe von Sensoren und setzen sie als Steuersignale für elektrische oder pneumatische Antriebe um.

 

Studien zeigen Vor- und Nachteile

Um Effekte der Technologie im Hinblick auf die Akzeptanz, den Tragekomfort sowie auf die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu erforschen, wurden im Rahmen des Innovationslabors »Hybride Dienstleistungen in der Logistik« und von ADINA »Automatisierungstechnik und Ergonomieunterstützung für innovative Kommissionier- und Umschlagkonzepte der Logistik in NRW« Laborstudien mit unterschiedlichen Exoskeletten durchgeführt. Zunächst testeten vier Mitarbeiter eines Industrieunternehmens das Exoskelett »Laevo« über einen Zeitraum von 14 Tagen im Realeinsatz: Sie spürten eine Entlastung des unteren Rückens und schätzten die Unterstützung bei der durchgeführten Palettierung als spürbar ein. Allerdings sahen die Teilnehmer auch Probleme, wie eine allgemeine Behinderung durch das Exoskelett, Schweiß- und Hautprobleme oder sogar auftretende Schmerzen. »Beim Tragen des Exoskeletts müssen nicht nur die gesundheitlichen, sondern auch die mentalen Aspekte bedacht werden. Wir überprüfen deshalb auch, ob sich in den Studien die gefühlte Anstrengung oder die Frustration erhöht«, erklärt Kinne. In einer zweiten Studie wollten die IML-Wissenschaftler die Effekte der Technologie im Hinblick auf Akzeptanz, Tragekomfort sowie auf die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten erforschen. Im Rahmen des Projekts wurde deshalb eine Laborstudie mit 37 Probanden und selbigem Exoskelett durchgeführt. Die Teilnehmer erledigten eine typische Palettieraufgabe einmal mit und einmal ohne Exoskelett. Nach jedem Durchgang bewerteten sie die Tätigkeit subjektiv hinsichtlich der kognitiven Ergonomie, d. h. in Bezug auf den Tragekomfort, die Handhabung sowie die empfundene Arbeitsbelastung. Die Studie liefert Hinweise auf eine Entlastung während der Palettierung mit dem Exoskelett.

»Das volle Potenzial des Exoskeletts scheint ausgeschöpft zu werden, wenn ein Höhenunterschied zwischen Entnahme- und Platzierungsstelle besteht«, so Kinne. Außerdem zeigten die Bewertungen der Teilnehmer, dass eine einfache Handhabung und eine hohe Bewegungsfreiheit wichtige Faktoren sind, die die Hersteller von Exoskeletten weiterentwickeln sollten. Um den Effekt von Exoskeletten auf die Körperhaltung zu untersuchen, führten die Wissenschaftlerinnen ebenfalls eine Untersuchung durch: In der vierwöchigen Laborstudie benutzen die Probanden das aktive Exoskelett Cray X täglich für eine Kommissioniertätigkeit. Dabei werden ihre Bewegungen bei der Ausübung mit und ohne Exoskelett mit einem mobilen Motion Capturing System aufgezeichnet. So soll analysiert werden, ob die Technologie langfristig einen positiven Effekt auf die Körperhaltung hat und ergonomische Bewegungsabläufe begünstigt.

 

Risikoabwägung

Da es noch keine Langzeitstudien zu Exoskeletten im realen industriellen Einsatz gibt, existieren noch Ungewissheiten, zum Beispiel im Hinblick auf einen möglichen Muskelabbau bei aktiven Exoskeletten oder die erhöhte Belastung des Herz-Kreislauf-Systems bei Exoskeletten für die Über-Kopf-Arbeit. Darüber hinaus verteilen viele Exoskelette die Last im Körper um und das bei zusätzlichem Gewicht. Die Auswirkungen auf die Biomechanik sind noch unbekannt, weshalb es auch noch keine Möglichkeit gibt, Exoskelette in Ergonomie-Bewertungen zu berücksichtigen. Neben diesen möglichen Risiken gibt es auch Herausforderungen im betrieblichen Einsatz, wie zum Beispiel der Zeitaufwand beim An- und Ausziehen, Schwitzen oder Akzeptanzprobleme der Mitarbeiter.

»Wenn wir wissen, welche Wirkung ein Exoskelett bei welcher Tätigkeit hat, können wir Konzepte für einen bedarfsgerechten Einsatz entwickeln«, erklärt Kinne. Diese Konzepte können zukünftig in der Logistik 4.0 genutzt werden: Dabei würde die körperliche Verfassung der Mitarbeiter in Echtzeit analysiert und Exoskelette und Aufträge passend zugewiesen.

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