Momentan werden Zollprozesse häufig eher analog statt digital abgewickelt: Bei einem typischen Exportprozess sendet die Zollbehörde beispielsweise ein PDF-Dokument an den Exporteur, um eine zulässige Ausfuhr zu bestätigen. Dieses sogenannte Ausfuhrbegleitdokument druckt der Exporteur aus und legt es der Sendung bei. Der Empfänger muss die Wareninformationen anschließend erneut digital erfassen, um den Import anzumelden. »Dieser Ablauf ist für alle Beteiligten sehr aufwendig«, erklärt Roman Koller, Product Owner (Zoll) beim Europäischen Blockchain-Institut am Fraunhofer IML. »Gemeinsam mit AEB, Adient und anderen Mitgliedern der Community wollen wir deshalb
den gesamten Zollprozess digitalisieren.«
Im Projekt »BORDER« (»Blockchainbasierte Organisation relevanter Dokumente im Extrahandel mit Rechtssicherheit«), das im Februar 2021 begonnen hat, sollen Zolldokumente digital verfügbar gemacht werden. Das Ausfuhrbegleitdokument ist dabei der erste Schritt für die Wissenschaftler. »Das Dokument ist die Brücke vom Ausfuhrland ins Drittland, also ins Nicht-EU-Ausland«, erklärt Roman Koller. »Wir planen, die Inhalte des Dokuments zu digitalisieren und auf der Blockchain abzubilden.«
Aktuell bestehe häufig eine Informationsasymmetrie zwischen den verschiedenen Beteiligten, sagt Roman Koller. Dabei verfügen Akteure wie die Zollbehörden über mehr Informationen als andere.
Die eingesetzte Blockchain-Technologie soll es deshalb in Kombination mit Smart Contracts ermöglichen, digitale Vorgänge und Dokumente für alle Beteiligten dezentral und fälschungssicher zu hinterlegen sowie zu aktualisieren. Damit wären Dokumente, Lieferwege und weitere Inhalte beispielsweise für Exporteure, Importeure, Software- und Transportunternehmen oder Zollbroker jederzeit nachvollziehbar. Mit der Lösung, die open source zur Verfügung gestellt wird, werden außerdem der Aufwand sowie der Papierverbrauch reduziert.
Die Zollbehörden sollen langfristig in das Projekt miteinbezogen werden. »Bei der Interaktion mit den Behörden werden digitale und analoge Prozesse zunächst weiterhin nebeneinander existieren beziehungsweise in unterschiedlichem Ausmaß digitalisiert sein. Deshalb achten wir darauf, dass unsere Entwicklungen immer konform mit den bestehenden Verordnungen und Verfahrensanweisungen sind«, erklärt Roman Koller. Auch die Behörden würden von einer höheren Transparenz der Lieferkette profitieren: Dadurch, dass die gespeicherten Einträge auf der Blockchain unveränderlich sind, können sie zum Beispiel als Grundlage für Prüfungen durch die Zollbehörden dienen.
Die Wissenschaftler nutzen für die Umsetzung des Projekts verschiedene Basiskomponenten, die im Europäischen Blockchain-Institut entwickelt werden. Dazu gehört unter anderem der »Token-Manager«: Er bildet Informationen und Werte auf der Blockchain mithilfe sogenannter Token ab. Der Token-Manager ermöglicht dabei eine bedarfsgerechte Strukturierung und Zusammenführung der gespeicherten Dokumente und Informationen. Änderungen und Ergänzungen werden über eine Transaktionshistorie ersichtlich. Mithilfe weiterer Basiskomponenten werden ergänzende Funktionen bereitgestellt. So können beispielsweise mit der Basiskomponente »Autorisierungsmodul« Zugriffsrechte vergeben werden, um zu steuern, welche Parteien in welchem Umfang Informationen in der Blockchain lesen oder bearbeiten dürfen. Im Fall des BORDERProjekts sollen so Dokumente sicher hinterlegt und die Bewegungen der Ware auf der Blockchain widergespiegelt werden.
Die Wissenschaftler wollen über einen agilen Scrum-Prozess einen ersten prototypischen Zollprozess digitalisieren. Nach dem Ausfuhrbegleitdokument planen sie, auch weitere Zolldokumente digital verfügbar zu machen. Dazu zählt zum Beispiel der sogenannte Ursprungsnachweis, der bezeugt, aus welchem Land die Ware stammt.
Seit diesem Jahr muss der Nachweis beim Außenhandel mit Großbritannien wieder erbracht werden: Durch den EU-Austritt des Landes ergeben sich neue bürokratische Herausforderungen, wie notwendige Export- und Importanmeldungen. Bis zu 10 Millionen zusätzlicher Zollanmeldungen pro Jahr werden einer DIHK Umfrage zufolge dabei alleine auf deutscher Seite erwartet.
Das macht das Land besonders interessant für die Wissenschaftler des BORDER-Projekts. Für die weitere Umsetzung suchen sie deshalb noch nach Unternehmen, die sich an dem Projekt beteiligen möchten – auch, wenn sie nicht vom Brexit betroffen sind. »Unternehmen können gemeinsam mit dem Europäischen Blockchain-Institut einen Beitrag zur durchgängig digitalen Zollabwicklung leisten. Außerdem können sie als Validierungspartner die geplanten prototypischen Prozesse in der Praxis testen. So hat der Brexit als zusätzlicher Impuls für einen Digitalisierungsschub möglicherweise doch noch etwas Gutes«, sagt Roman Koller.