Hinter dem Namen FELICE steckt – wie eigentlich immer – ein weniger griffiger Name eines Forschungsprojektes: »Flexible Assembly Manufacturing with Human-Robot Collaboration and Digital Twin Models«. Wer bei FELICE also zuerst an Italien und hervorragende Spaghetti bei Sonnenuntergang in einem kleinen Restaurant an der Adria gedacht hat, lag, nicht nur was die Nudeln betrifft, falsch.
Nach Italien geht es trotzdem: Das Centro Ricerche Fiat (CRF) ist eine Forschungs Tochterfirma von Fiat, die eine Versuchshalle im italienischen Melfi betreibt. Dort werden profimäßig Autotüren zusammen- und auseinandergebaut. An diesem Ablauf wird beispielhaft untersucht, wie der aktuell dringende Bedarf in der Fertigung gedeckt und die nächste Generation von Montageprozessen entwickelt werden kann. Das Projekt sieht dafür adaptive Arbeitsstationen und einen gezielt eingesetzten kognitiven Roboter vor, der mit den Arbeitern in den Montagelinien zusammenarbeitet. Immer dann und immer dort, wo er im Prozess am meisten unterstützen kann.
»Man muss sich das so vorstellen: Das sind fahrende Plattformen, ausgestattet mit einem Roboterarm«, erklärt Oliver Urbann aus der Abteilung für Künstliche Intelligenz (KI) und Autonome Systeme am Fraunhofer IML. FELICE setzt sich damit von anderen Projekten ab: »Wir arbeiten mit echten Robotern, echten Menschen und mit echten Arbeitsabläufen. Eine derart praxisnahe Arbeit ist selten und diese Chance ein Glücksfall«, erklärt Urbann. Ein großer Forschungsbereich, den sein Team behandelt, ist das »Grasping«, also Greifen. Mit dieser Forschungsfrage haben sich schon viele beschäftigt – Tatsache ist aber, es funktioniert immer noch nicht gut genug.
Mal angenommen, der Roboter soll zu einer Arbeitsstation fahren, an der ein Mensch steht und etwas zusammenschraubt. Der Roboter soll ihm einen Gegenstand, beispielsweise eine Bohrmaschine anreichen. Soweit, so simpel. Dahinter stecken aber komplizierte Sachverhalte, die das Programmieren des Roboters so schwierig machen, weiß Oliver Urbann: »Es fängt schon damit an, auf welche Seite der Roboter am besten fährt, er kann ja nicht von einer fixen Position aus an jede Stelle des Tisches greifen. Ich muss also zunächst die optimale Position für den Roboter finden, damit er den Gegenstand mit seinem Arm erreichen kann, ohne etwas anderes auf dem Tisch oder den Mitarbeiter zu berühren. Wenn ich das habe, ist die Frage, wie fest die Roboterhand zugreifen soll. Zu fest könnte den Gegenstand beschädigen und bei zu wenig Kraft könnte der Gegenstand ihm aus den Fingern rutschen.«
Da Greifen also nicht so simpel ist, wie es sich zuerst anhören mag, ist das Prozedere aufgeteilt in klassische und komplizierte Fälle. Im günstigen Fall liegt das Werkzeug an der vorgesehenen Stelle, es ist direkt zu erreichen, der Roboter kann es wie zuvor einprogrammiert greifen. Dafür ist der europäischen Projektpartner Profactor aus Österreich zuständig. Für die Spezialfälle, die sich nicht mit klassischen Methoden lösen lassen, ist das Team von Oliver Urbann zuständig. »Wir müssen davon ausgehen, dass das Objekt nicht so liegt, wie es besprochen ist – von einigen Millimetern bis zu einigen Zentimetern daneben. Es kann sein, dass das Objekt dort gar nicht liegt, oder eine Bohrmaschine erkannt wird, obwohl es sich um einen Hammer handelt. Damit muss man umgehen können.« Schlüsseltechnologien sind neben den klassischen Methoden vor allem Maschinelles Lernen und KI. Die Technik dafür ist zum Teil schon vorhanden, einiges muss aber erst neu entwickelt werden.
Die Abteilung für Robotik und Kognitive Systeme am Fraunhofer IML beschäftigt sich in dem Projekt mit der Mensch-Technik-Interaktion. Ihr Fokus liegt dabei auf der physischen und kognitiven Ergonomie. Um die Verhaltensweise von unterstützenden Robotern auf den jeweiligen interagierenden Menschen anzupassen, erstellt das Team einen »digitalen Zwilling« des Menschen. Verschiedene Datenquellen wie Wearables, Kamerasysteme und sogenannte Brain Computer Interfaces (ähnlich wie ein EEG) werden so zu einem Abbild des Menschen fusioniert. In Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) finden innerhalb des Projekts Probandenstudien statt. Dabei kommen bereits bewährte, aber auch speziell dafür entwickelte Körpersensoren zum Einsatz, die dann u. a. Puls und Hirnströme messen können. Gerät ein Arbeiter beispielsweise ins Schwitzen und der Puls steigt, wenn er etwas angereicht bekommt, könnte das darauf hinweisen, dass er gestresst ist. »Jeder Mensch hat ein etwas anderes Empfinden darüber, was der Roboter in der direkten Umgebung tut. Es kann passieren, dass sich ein Mensch erschreckt oder er sich bedrängt fühlt, wenn der Roboter ihm zum Beispiel einen Gegenstand zu nah anreicht«, erklärt Sebastian Hoose vom Fraunhofer IML.
Aus den gesammelten Daten lässt sich sozusagen der aktuelle Wohlseins-Zustand berechnen. Auf dieser Datengrundlage entwickelt das Team einen Algorithmus, der dem Roboter beibringen soll, dass er auf den Menschen individuell Rücksicht nimmt – im vorherigen Fall also etwas mehr Abstand hält. »Wir möchten Stress und Unwohlsein bei der Arbeit natürlich vermeiden. Der Roboter merkt sich dann also, dass sich Person X etwas gestresst gefühlt hat, als er ihr die Bohrmaschine gegeben hat, und nimmt beim nächsten Mal etwas mehr Rücksicht«, erklärt Hoose.
Das Projekt FELICE vereint also multidisziplinäre Forschung aus unterschiedlichen Bereichen. Aus den vielen einzelnen Arbeitspaketen soll letztlich eine modulare Plattform entstehen, die eine Reihe autonomer und kognitiver Technologien integriert. Diese soll die Agilität und Produktivität eines manuellen Montageproduktionssystems erhöhen, Sicherheit gewährleisten und das physische und psychische Wohlbefinden der Fabrikarbeiter verbessern. Dafür ist es notwendig, Technologien zu entwickeln, die die kognitiven Fähigkeiten des Menschen mit der Genauigkeit und Ausdauer von Robotern kombinieren. Da solche Technologien von Natur aus anpassungsfähiger und konfigurierbarer sind, tragen sie dazu bei, dass künftige Montagehallen in der Fertigung agiler werden und rechtzeitig auf Kundenbedürfnisse und Marktveränderungen reagieren können. Größere Vielfalt und kürzere Lieferzeiten erfreuen dann auch den Kunden beim Autokauf. Vielleicht ist es da nur Zufall, dass FELICE im Italienischen »glücklich« bedeutet.