Der Mitarbeiter ist bereits mehrere Stunden im Lager beschäftigt, als er eine Nachricht von seinem Armband erhält: Es signalisiert ihm über eine Smartphone-App, dass er eine Pause einlegen sollte. Mithilfe von Sensoren erfasst das Armband über die gesamte Arbeitszeit hinweg verschiedene Vitalwerte wie den Puls, die Hautleitfähigkeit, die Intensität der Bewegung sowie die Hauttemperatur. Weichen die Werte zu stark vom normalen Zustand des Mitarbeiters ab und wird Stress erkannt, empfiehlt das Device eine kurze Erholungspause. Der Beschäftigte kann anschließend selbst entscheiden, ob er der Empfehlung folgen möchte.
Das Projekt »Dynamische Pause« startete 2019 am Fraunhofer IML. Ziel ist, die Arbeitsorganisation in Unternehmen nicht nur an die unternehmensinternen Prozesse und Anforderungen der Logistik anzupassen, sondern auch an die Bedarfe der Mitarbeiter. »Wir haben zunächst untersucht, welche Daten nötig sind, um das persönliche Stresslevel zu messen. Dafür haben wir uns unter anderem mit Fachexperten aus der Medizin sowie der Stress- und Pausenforschung ausgetauscht«, erklärt Dr. Veronika Kretschmer. Zusammen mit ihrem Kollegen Benedikt Mättig koordiniert sie das Projekt.
Anschließend legten die Forscher fest, wie die erfassten Daten ausgewertet werden sollen. Das Sensorarmband nutzt dafür einen webbasierten Dienst und Methoden des Maschinellen Lernens. Die Wissenschaftler arbeiteten zunächst mit Beispieldaten, um ein neuronales Netz zu trainieren. Dafür erfassten sie die Vitaldaten von Menschen unter Stressbedingungen und fragten das subjektive Empfinden mit Fragebögen ab. Mithilfe der Daten wurde ein neuronales Netz trainiert, das anhand der unterschiedlichen Anzeichen erkennen kann, ob ein Mitarbeiter bald ein kritisches Stresslevel erreicht. Bevor das der Fall ist, wird er über das Armband informiert.
Die Daten werden dabei anonymisiert behandelt. Der Arbeitgeber sieht nur, dass Pausen genommen werden, und kann dementsprechend die Personalressourcen steuern und planen. Die datenbasierten Pausenempfehlungen sowie persönliche Pausenanfragen des Mitarbeiters werden in einem weiteren webbasierten Dienst verwaltet und mit der jeweiligen Software zur Ressourcensteuerung im Unternehmen verknüpft. Veronika Kretschmer zufolge bietet das Projekt Vorteile für die Unternehmen und die Mitarbeiter: »Durch die individuellen Empfehlungen soll die Pausenorganisation in einem Unternehmen flexibler und dynamischer gestaltet und dadurch optimiert werden. Langfristig tragen dynamische Pausen zur Erhaltung der Gesundheit, der Leistungsfähigkeit und der Sicherheit von Lagerarbeitenden bei«, sagt sie.
Im nächsten Schritt wollen die Forscher des Fraunhofer IML Realdaten bei Industriepartnern erfassen, um das Machine-Learning-Modell damit weiter anzupassen. Dafür suchen sie noch weitere Industriepartner, die die »Dynamische Pause« im Pilotbetrieb testen. Je verschiedener die Daten sind, desto besser können die Wissenschaftler das neuronale Netz trainieren. Da sich das Pausen- und Warehouse-Management je nach Unternehmen unterscheidet, soll das Sensorarmband die unternehmensinternen Regelungen nur ergänzen und nicht ersetzen.
Die Entwicklung des Projekts »Dynamische Pause« begann im »Innovationslabor Hybride Dienstleistungen in der Logistik« am Fraunhofer IML. Nun ist es Teil des Großprojekts »Silicon Economy«: In der Plattformökonomie kommunizieren Maschinen, Fahrzeuge und Mitarbeiter untereinander und miteinander, alles ist mit allem vernetzt.
»Unser Projekt stellt den Menschen innerhalb der Silicon Economy in den Mittelpunkt«, erklärt Benedikt Mättig. Vor allem in Arbeitsbereichen mit manuellen Tätigkeitsanforderungen bleiben Arbeitende dank ihrer Geschwindigkeit, Flexibilität und ihres Wissens- und Erfahrungsschatzes eine wertvolle Ressource und ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor. »Der Mitarbeiter darf durch die vielen technischen Entwicklungen nicht überfordert sein und muss in das System integriert werden. Die digitale Ergonomie bietet dabei die Chance, Arbeitsabläufe mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu optimieren und Mitarbeiter zu unterstützen.« Das Armband erkennt aber nicht nur, wenn ein Mitarbeiter gestresst ist und eine Pause braucht, sondern auch, wann die Pause beendet werden kann: Sobald sich der Puls und die weiteren Stressindikatoren wieder beruhigt haben, empfiehlt es, die Arbeit wieder aufzunehmen. Aktuell arbeiten die Forscher für die Erfassung der Daten an einem eigenen Sensorarmband, das die komplette Interaktion mit dem Mitarbeiter übernehmen und die bisherige Smartphone-App ersetzen soll.