Deus ex machina – KI zu Ende gedacht

Ein Gastkommentar von Prof. Michael ten Hompel, Direktor am Lamarr-Institut für Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz und ehemaliger Institutsleiter des Fraunhofer IML sowie Initiator der AI24 – The Lamarr Conference.

»Die Digitalisierung von allem und die Künstliche Intelligenz in allem wird alles für uns alle ändern.« Unsere Headline aus dem Jahr 2019 ist Realität geworden. Im Sommer 2023 bestand das große Sprachmodell ChatGPT den Turing-Test und gilt damit »offiziell« als Künstliche Intelligenz. Was aber alle überraschte: Mit ihrer Größe entwickelten solche »Transformer« grundlegend neue, kreative Fähigkeiten, die nicht programmiert wurden und sich nur schwer erklären lassen. Offensichtlich haben sich große neuronale Netze ein »Bild von der Welt« gemacht, und wie dieses aussieht, kann man sich zum Beispiel auf den Seiten von »Sora« (OpenAI) anschauen. Es sind eben nicht mehr nur flache, unbewegte Bilder, die dort zu sehen sind. Durch die Eingabe von ein paar Zeilen Text (Prompt) generiert Sora faszinierende Videos in hoher Auflösung. Die KI scheint ein Verständnis für Zusammenhänge entwickelt zu haben. Reflexionen auf den Scheiben eines fahrenden Zuges werden ebenso richtig modelliert wie Wellen am Strand, ein Schneegestöber oder der Mensch selbst – offensichtlich nicht nur hineinkopiert, sondern kausal richtig und den Naturgesetzen entsprechend gestaltet. Die auf zig Billionen Token trainierte generative KI wird ihrem Namen gerecht: Sie interpretiert nicht nur, sondern generiert neue Versionen der Wirklichkeit, die sie gelernt hat. Naturgemäß machen auch die neuesten KI Fehler, und wenn man genau hinschaut, erwischt man sie immer wieder beim Halluzinieren – aber schon wieder deutlich weniger als bei ihrer Vorgängerversion. Eines erscheint dem geneigten Betrachter immer klarer: Der Weg zur generellen Künstlichen Intelligenz (AGI) scheint nicht mehr weit und ist vielleicht nur noch eine Frage ausreichender Rechnerleistung, die weiteres, exponentielles Wachstum der KI-Fähigkeiten mit sich bringt. Mark Zuckerberg sieht es offenbar genauso und erklärt, mit 350.000 H100 GPUs von Nvidia den größten KI-Cluster aller Zeiten aufbauen zu wollen und damit »verantwortungsvoll« bis zum Ende des Jahres die erste AGI zu schaffen. 

Deus ex machina

Institutsleiter, Michael ten Hompel
© Fraunhofer IML
Ehem. Institutsleiter Michael ten Hompel

Wahrscheinlich wird es wieder etwas länger dauern, aber man darf sicher sein: Mark Zuckerberg wird nicht der Einzige bleiben, der eine AGI erschaffen will, und Elon Musk wird mit seinem X-Imperium bald zurückschlagen. Wir erleben ein »Deus ex machina« – einen jener Momente, wo in der griechischen Tragödie plötzlich und unerwartet die Lösung eines Problems durch eine übernatürliche Macht erscheint. Wenn wir generative KI entsprechend gestalten und trainieren, wird sie nicht nur schöne Bilder und Texte erschaffen, sondern grundlegende Probleme lösen und neue Verfahren und Maschinen kreieren.

Zu Ende gedacht

Es ist absehbar, dass eine neue Generation Künstlicher Intelligenz entsteht, die zum aktiv handelnden Element und Partner wird, und bei diesem Wandel wird die Logistik als bewegende Instanz eine entscheidende Rolle spielen. Es wird einerseits eine »Social Networked Industry« entstehen, in der Menschen und KI partnerschaftlich planen, disponieren und zusammenarbeiten. Andererseits werden humanoide Roboter – verbunden mit einer generellen »Remote AI« – Fähigkeiten erlernen, die unsere Sinne schwinden lassen. Die letzten Videos von Teslas »Optimus« lassen erahnen, wo die Reise hingeht. Auf der ganzen Welt wird an KI und humanoider Robotik geforscht. So erklärte China Ende des letzten Jahres, 2025 die Massenproduktion humanoider Roboter zu starten und die künstlichen Kollegen bis 2027 in der industriellen Fertigung zu etablieren. Wie auch immer die autonomen Roboter in der Intralogistik aussehen werden, eines scheint sicher: Sie werden Arme und Augen bekommen … und es ist kein Zufall, wenn das an unseren evoBOT erinnert. Zu Ende gedacht, kommen wir wieder an den Anfang: »Die Digitalisierung von allem und die Künstliche Intelligenz in allem wird alles für uns alle ändern.« Es wird ein digitales Kontinuum mit genereller Künstlicher Intelligenz entstehen, und das schneller, als die meisten denken.