»Digitales Testfeld Air Cargo« hebt Luftfrachtabfertigung auf die nächste Stufe

Die stringent wachsenden globalen Warenströme brauchen eine effizient arbeitende  Luftfracht mit autonomisierten und digitalisierten Prozessen. Dieser Aufgabe  widmet sich seit 2021 das Projekt »Digitales Testfeld Air Cargo« unter Leitung  des Fraunhofer IML.

Ein »Roboterhund«, der autonom durch die Lagerhalle patrouilliert und dort freie Lagerplätze sucht, ein hochdynamischer Transportroboter, der Paletten automatisiert an ihr Einlagerungsziel bringt und ein sehr flexibler »SegwayRoboter«, der Paketstücke von Europaletten auf ein Förderband legt: Das klingt nach Science-Fiction? Ist es aber nicht, wie Forschende des Fraunhofer IML im April und Mai 2024 am Flughafen München erstmals der Öffentlichkeit demonstrierten. Sie zeigten dort – gemeinsam mit der Frankfurt University of Applied Sciences, der KRAVAG Versicherung und den Industriepartnern am Flughafen München (Cargogate, CHI, Sovereign Speed und DB Schenker) – erste konkrete Ergebnisse des Forschungsprojekts »Digitales Testfeld Air Cargo« (DTAC). Dieses Projekt geht der Frage nach, wie sich Effizienz und Leistungsfähigkeit der Luftfrachttransportkette optimieren lassen. Erreicht werden soll das durch eine bessere Vernetzung und Digitalisierung der Abläufe. Während der Projektvorstellung in München wurden dazu vier autonome und automatisierte Geräte erfolgreich eingesetzt, um einige sehr arbeitsintensive und repetitive Schritte an relevanten Schnittstellen in der Abfertigung entweder komplett zu übernehmen oder um die Mitarbeitenden bei ihrer körperlich schweren Arbeit zu unterstützen. 

Zukunftsweisende Kooperation

»Das war eine überzeugende Vorführung, die zeigt, dass wir auf aktuelle und künftige Herausforderungen sehr gut vorbereitet sind. Gerade im Sektor Luftfracht ist das besonders wichtig. Die Sparte muss den Spagat schaffen zwischen dem Arbeitskräftemangel auf der einen und den hohen Durchsatzraten auf der anderen Seite. Dies wird nur dann gelingen, wenn wir dafür alle uns zur Verfügung stehenden technologischen Entwicklungen zur Prozessoptimierung einbringen«, unterstrich Christian Bernreiter, Bayerischer Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr. Ebenfalls sehr positiv über die bisherigen Forschungsergebnisse äußerte sich Dr. Jan Henrik Andersson, Chief Commercial Officer & Chief Security Officer Flughafen München GmbH: »Die Kooperation zwischen dem Fraunhofer IML und dem Flughafen München ist zukunftweisend. Angesichts des steigenden Luftfrachtaufkommens und der Herausforderungen bei der Personalrekrutierung hilft uns die Digitalisierung und Robotik in naher Zukunft, die Fracht- und Gepäckabfertigung effizienter und die Arbeitsplätze in diesen Bereichen attraktiver gestalten zu können.«

Roboter spielen Schlüsselrolle

Während der Präsentation am Flughafen München erhielten vier sehr unterschiedlich arbeitende Roboter Schlüsselrollen. Der mit Scanner und 4K-Kamera ausgestattete »Roboterhund« Spot des US-amerikanischen Herstellers Boston Dynamics etwa patrouillierte autonom im Lager und identifizierte dort zur Einlagerung bereite Großlagerpaletten und entsprechende Lagerplätze. Ein autonom arbeitender Gabelstapler übernahm den Zwischentransport zum automatisch arbeitenden Hochregallager, und der vom Fraunhofer IML entwickelte omnidirektionale, hochdynamische Roboter O³dyn war für den Transport von Europaletten in das benachbarte Lager verantwortlich. Der ebenfalls von den Dortmunder Forschenden entwickelte evoBOT – ein dynamisch stabiles System mit zwei Greifarmen, das auf dem Prinzip eines inversen Pendels beruht und kein externes Kontergewicht benötigt – legte Packstücke von einer Europalette auf das Förderband eines Röntgengeräts und nach dem Röntgenvorgang wieder zurück auf die Palette. Gesteuert wurden die Prozesse über die Fraunhofer-Leitsystemsoftware »openTCS« – ein niederschwelliges Tool zur Koordination von Fahrerlosen Transportfahrzeugen (FTF). Im Sommer 2024 lief darüber hinaus ein weiteres Testfeld am Flughafen Stuttgart, um die Transporte auf dem Vorfeld zu beleuchten.

Der Transportroboter Odyn steht in einer Lagerhalle.
© Fraunhofer IML - Vinzenz Neugebauer

Forschungsprojekt verlängert – Forschungsmittel erhöht

Roboterhund Spot steht in einer abgedunkelten Lagerhalle.
© Fraunhofer IML - Vinzenz Neugebauer

Das ursprünglich bis September 2024 laufende Forschungsprojekt DTAC wurde vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr mit rund 6,9 Millionen Euro geförderte. Erst kürzlich stockte das Bundesministerium die Förderung um 6,8 Millionen Euro auf und sichert damit die Fortsetzung der Arbeiten bis August 2026. Damit summiert sich die Förderung auf 13,7 Millionen Euro und ein Gesamtvolumen von 18 Millionen Euro. Dazu Oliver Luksic, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr: »Wir brauchen Künstliche Intelligenz in der Luftfahrt, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Nur so können wir knapp werdendes Personal gezielt ein setzen, begrenzte Infrastruktur optimal nutzen und damit langfristig Kosten senken. Wir haben gerade in der Logistik einen starken Arbeitskräftemangel. Digitale Technologien sind ein Schlüssel, um diesem zu begegnen und auch in Zukunft Waren zuverlässig, schnell und effizient per Luft transportieren zu können. Das Projekt »Digitales Testfeld« ist eine Investition in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.« Und Dr. Harald Sieke, Abteilungsleiter Luftverkehrslogistik am Fraunhofer IML und Gesamtprojektleiter von DTAC, ergänzt: »Mit der Aufstockung des Digitalen Testfelds Air Cargo treiben wir den technologischen und den Wissensvorsprung in der Luftfracht voran. So präsentieren wir den Wirtschaftsstandort Deutschland weltweit als attraktiven und zukunftsweisenden Hub der Digitalisierung von Luftfrachtprozessen.«

KI liefert wichtige Werkzeuge

Auch wenn während der im Mai stattgefundenen Vorführung am Flughafen München noch nicht alle Prozessschritte vollständig autonom abliefen und der eine oder andere Vorgang manuell gesteuert wurde, wird sich der Automatisierungsgrad bei der Luftfrachtabfertigung nach Ansicht der IML-Forschenden insbesondere vor dem Hintergrund der nun zur Verfügung stehenden Forschungsmittel sehr schnell deutlich erhöhen. »Auf der Hardwareseite sind wir bereits sehr weit. Bei der Koordination und Steuerung der Fahrzeuge wird uns in Zukunft Künstliche Intelligenz unterstützen. Sie liefert die notwendigen Werkzeuge und Algorithmen, mit denen wir die Laufwege der autonomen Roboter vorausberechnen und Kollisionen sicher vermeiden können. Letztendlich werden wir schon bald vollständig autonom arbeitende Systeme erhalten, mit denen wir die Luftfrachtbranche fit für die Zukunft machen«, resümierte Prof. Michael Henke, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IML. In der Verlängerungsphase des Projekts soll die Arbeit an besonders relevanten Forschungssträngen weitergeführt werden: Dazu zählen die Roboterentwicklung speziell für Luftfracht-Transporteinheiten, End-zu-End-Prozessbetrachtungen am Flughafen sowie Leitstandsanwendungen zur Kontrolle und Steuerung der Roboter.

Ein Stapler transportiert Pakete innerhalb einer Lagerhalle.
© Fraunhofer IML - Vinzenz Neugebauer