Geräuscharme Logistik gegen den Verkehrsinfarkt in Städten

Der zunehmende Lieferverkehr in den Innenstädten lässt die städtische Verkehrsinfrastruktur an ihre Kapazitätsgrenze stoßen – insbesondere zu den morgendlichen Stoßzeiten, wenn Liefer- und Pendlerverkehre gleichzeitig unterwegs sind. Um die Verkehrssituation zu entzerren, aber zugleich die pünktliche Belieferung des Einzelhandels zu gewährleisten, arbeitet das Fraunhofer IML seit 2013 in aufeinanderfolgenden Forschungsprojekten an Lösungen, in deren Mittepunkt das Konzept der »Geräuscharmen Logistik« steht.

Im Mittelpunkt des Konzepts steht die Verlagerung der Lieferverkehre in die Tagesrandzeiten bzw. die Nacht. Hierdurch ließen sich der Verkehr in den Stoßzeiten verflüssigen, Stau und Engpässe reduzieren und dank geringerer Lärmund Schadstoffemissionen durch den Einsatz Batterie-elektrischer Lkw die Lebensqualität der Bevölkerung erhöhen. Mit ihrem initial gestarteten »GeNaLog-Projekt« wollten die Dortmunder Forschenden in Zeiten, in denen Wohn- und Gewerbenutzung immer häufiger zu Konflikten führt, Lösungen für eine staufreie und möglichst geräuscharme Belieferung von Handelsfilialen in Städten finden. Die Möglichkeit, die Filialen durch Lärmschutzwände, leiseres Pflaster oder durch einen schalldämpfenden »Überbau« rund um Laderampen leiser zu machen, wäre zwar schön und gut. Sie mussten jedoch feststellen, dass, solange weiterhin Diesel-Lkw und lautes Equipment zur Belieferung zum Einsatz kommen, sich die gesetzlichen Lärmrichtwerte nicht einhalten lassen. Das Forscherteam kam zu dem Schluss, dass ein Lösungsansatz die »Geräuscharme Logistik« mit alternativangetriebenen Lkw und geräuscharmem Umschlagsequipment sein könnte. Logistikprozesse könnten so in Tagesrandzeiten und die Nacht verlagert werden. Dadurch ließen sich die Effizienz von Touren steigern sowie Schadstoff- und Lärmemissionen reduzieren. »Wir wollten nachweisen, dass mit Elektro-Lkw die geltenden Lärmrichtwerte eingehalten werden können, sodass man in der Nacht oder in den Tagesrandzeiten beispielsweise Supermärkte mit Waren beliefern kann«, so Arnd Bernsmann, Projektleiter in der Abteilung Verkehrslogistik am Fraunhofer IML. «In einer Testphase konnten wir genau diesen Nachweis liefern.« Die Problematik lag allerdings darin, dass die Geräuscharme Logistik gegen den Verkehrsinfarkt in Städten Genehmigungsbehörden der Städte von jedem einzelnen Unternehmensstandort den Nachweis fordern, dass die Lärmgrenzwerte einhalten werden. In Deutschland gibt es für alternativ angetriebene Lkw bislang keine Werte zu den Schallemissionen, an denen sich die Verwaltungen orientieren können. Deshalb ist es schwierig, Genehmigungen für Lieferungen in den Tagesrandzeiten oder in der Nacht zu erhalten.

Orientierungswerte für Genehmigungsbehörden

Um den zuständigen Genehmigungsbehörden in den Kommunen verlässliche Werte zu den Schallemissionen von alternativ angetriebenen Lkw an die Hand geben zu können, damit einer Genehmigung von Lieferverkehren an Tagesrandzeiten nichts mehr im Wege steht, haben die Forschenden im Rahmen eines weiteren Forschungsvorhabens, das vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen finanziert wurde, die »Mobilitätsstudie geräuscharme Logistik« auf den Weg gebracht. In dieser Studie, die im September 2024 veröffentlicht wird, wollen sie erstmals belastbare Daten zu Lärmemissionen von geräuscharmen alternativ angetriebenen Nutzfahrzeugen liefern. »Mit der Studie wollen wir zur Entwicklung einer einheitlichen Regelung für Deutschland beitragen und den Kommunen und Behörden bei der Bewertung von Geräuschemissionen durch Lkw mit alternativen Antrieben die Arbeit erleichtern«, sagt Daniela Kirsch, Teamleiterin am Fraunhofer IML. Die Daten dazu wurden in den letzten zwei Jahren erhoben. In Kooperation mit dem Schallgutachterbüro Peutz Consult haben die Forschenden Hersteller und Logistikdienstleister in ganz Deutschland besucht, um typische Fahrsituationen der Lkw bei der Zustellung im urbanen Raum mit unterschiedlichen alternativ angetriebenen Fahrzeugen, wie Elektro-, Wasserstoff- und Gas-Lkw, zu vermessen. Dabei wurde die gesamte Fahrzeugbandbreite abgedeckt – vom Lkw mit 7,5 Tonnen bis zum Sattelzug mit 40 Tonnen. Anlässlich der Veröffentlichung des Handbuchs plant das Fraunhofer IML zusammen mit dem Verkehrsministerium NRW für den 25.09.24 eine Informationsveranstaltung für Kommunen, Logistikdienstleister, Handelsunternehmen, Schallgutachter und weitere Interessierte mit Vorträgen und Informationen rund um das Thema »Geräuscharme Logistik«.

Ein leiser Lkw reicht nicht, auch das Verladen muss leiser werden

Die Schallmessungen für das »Handbuch Geräuscharme Logistik« haben gezeigt, dass die alternativ angetriebenen Fahrzeuge nicht zu laut sind. Doch wie sieht es mit Kühlaggregaten, dem Schließen der Ladeklappe, dem Warnton beim Rückwärtsfahren, dem Bewegen der Rollwagen über die Laderampe oder bei den Mitarbeitern aus, also dem Lärm, der beim Be- und Entladen der Fahrzeuge entsteht? Für jede technische Ausstattung gibt es geräuscharme Lösungen. Die Rollwagen können mit leiseren Rädern ausgestattet werden und für die Ladebordwände gibt es schalldämmende Beschichtungen, sodass sich die Rollwagen noch leiser auf ihnen bewegen können. Doch wie schafft man es, dass die Mitarbeitenden leise sind? »Alles steht und fällt mit den Mitarbeitenden. Denn gegen aufgedrehte Radios, laute Handygespräche oder unsensibles Aufsetzen der Ladebordwand helfen keine Gummidichtungen«, erläutert Arnd Bernsmann.

Best Practice Beispiel aus den Niederlanden

»Ein positives Beispiel, wie sich diese Herausforderung meistern ließe, liefern unsere europäischen Nachbarn«, weiß Daniela Kirsch. In den Niederlanden gibt es seit 2004 das sogenannte Piek-Zertifikat. PIEK-zertifizierte Lkw sind für die Belieferung in Nebenzeiten zugelassen. Um die Zertifizierung, beispielsweise für Nachtzustellungen, zu erhalten, müssen Lastkraftwagen und Transportausrüstung in den Niederlanden einer akustischen Prüfung unterzogen werden. Dabei dürfen Fahrzeuge und Equipment die vorgeschriebenen Dezibel-Grenzwerte von weniger als 60 dB(A) in einem Abstand von 7,5 Metern nicht überschreiten. Die sogenannte PIEK-Zertifizierung wird von der Stiftung PIEKGütesiegel verliehen und ist ein Standard für leise Lieferwagen und leise Technologien. Mit einem zertifizierten geräuscharmen Fahrzeug und entsprechender Kennzeichnung ist eine Belieferung in Innenstädten dann zu Randzeiten möglich. »Zudem wird innerhalb der PIEK-Zertifizierung Lkw-Fahrern in einer Schulung vermittelt, wie Fahrzeuge leise entladen werden können«, so Kirsch. Da die niederländische PIEK-Zertifizierung nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar ist, will das Forscherteam eine ähnliche Zertifizierung für Deutschland vorantreiben.

Folgeprojekt fokussiert auf Aktivitäten rund um Be- und Entladeprozess

Das derzeit laufende Projekt setzt genau hier an und wird mit rund 565.000 Euro über die Förderrichtlinien Mobilität und Mobilitätsmanagement (FÖRI-MM) ebenfalls vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes NordrheinWestfalen gefördert. Bis Projektende im März 2026 wollen die Forschenden vor allem das Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Be- und Entladeprozessen sowie das eingesetzte Umschlagequipment an den Filialen unter die Lupe nehmen. Dazu streben sie die Kooperation mit einem Sensorikdienstleister an, um das Mitarbeitendenverhalten bezüglich entstehender Lärmemissionen vermessen zu können. »Wir möchten die Sensorik dafür nutzen, um Lärmquellen, die der Mitarbeitende bei der Be- und Entladung verursacht, zu detektieren, zu messen (Schallpegel) und zu verbessern«, sagt Arnd Bernsmann. »Dazu wird ein Sensoriksystem an der Schulter, am Gürtel und am Handgelenk des Mitarbeiternden angebracht. Neben den Bewegungsabläufen messen wir den Lärmpegel der jeweiligen Arbeitsprozesse mit einem Mikrophon, um zu ermitteln, wie laut der jeweilige Prozess war.« Dabei misst das Forscherteam sowohl den Ist-Zustand als auch den Lärmpegel unter Verwendung von Hilfsmitteln, wie zum Beispiel leisere Rollen. »In einer Schulung sollen die Mitarbeitenden dann entsprechend sensibilisiert werden, damit sie ihr Verhalten beim Be- und Entladen entsprechend ändern können. Deshalb sind Schulungen so wichtig«, sagt Bernsmann. 

Win-Win-Situation für alle Beteiligten

Ein Fazit der bisherigen Forschungsarbeit ist, dass sich durch die Möglichkeit, gewerbliche Transporte in die Tagesrandzeiten zu verlegen, der Straßenverkehr in den Städten zu den Hauptverkehrszeiten entlasten und die Verkehrssicherheit und Effizienz verbessern ließe. Dafür ist es notwendig, den gesamten Warentransport und -umschlag möglichst geräuscharm abzuwickeln – von der Fahrt durch die Stadt bis zum Be- und Entladeprozess. Hier muss ein besonderes Augenmerk auf das Mitarbeiterverhalten und das Umschlagequipment in Bezug auf Lärmemissionen gelegt werden. »Wir wollen auf gar keinen Fall, dass die Menschen in ihren Wohnungen vor Schreck aus dem Bett fallen«, so Bernsmann. »Jeder Mensch soll ungestört schlafen können. Deshalb setzen wir alles daran, Lieferverkehre und die dazugehörigen Logistikprozesse leiser zu machen.« Eine zuverlässige Genehmigungspraxis für geräuscharme Lkw zur Belieferung in Rand- und Nachtzeiten würde diesem Anspruch Rechnung tragen. Die Konsequenz wäre eine WinWin-Situation für Anwohnende, Umwelt, Verkehrsteilnehmende und Handelsunternehmen, die ihre Fahrzeuge besser einsetzen könnten. Die dabei entstehenden Mehrkosten ließen sich durch die verlängerten Betriebszeiten relativieren. Die Forschenden hoffen, dass sie ihre Erkenntnisse und ermittelten Daten in einem Leuchtturmprojekt bald unter Beweis stellen können und freuen sich auf die Zusage einer innovativen Stadt mit entsprechend interessierten Unternehmen. Denn mit der Fortführung des Forschungsprojektes bleibt Nordrhein-Westfalen weiterhin Vorreiter bei der »Geräuscharmen Logistik«. Vergleichbare Forschungsprojekte, in denen unter Realbedingungen technische Innovationen und Verhaltensanweisungen für das Logistikpersonal dazu führen, die geltenden Richtwerte einzuhalten und die Lärmemissionen für Bürgerinnen und Bürger sowie die Umwelt deutlich zu reduzieren, werden bisher in Deutschland nicht durchgeführt.

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