Mitunter entscheiden Minuten, manchmal sogar Sekunden, über Leben und Tod. Umso wichtiger ist es, dass noch am Unfallort, im Krankenwagen und später bei der Übernahme im Krankenhaus alles reibungslos funktioniert. Die vom Fraunhofer IML mitentwickelte App »MEDUSA« setzt genau hier an: Sie soll dabei helfen, den Informationsaustausch zwischen den Not- und Klinikärzten zu erleichtern und die Notfallversorgung für Schwerverletzte zu verbessern.
Lukas Mustermann hatte einen schweren Unfall. Sein Körper ist übersät mit Brandwunden, doch er lebt – noch jedenfalls. Nachdem ihn die Feuerwehr aus dem brennenden Haus gerettet hat, muss es schnell gehen. Der Notarzt ist gerade eingetroffen, er versorgt das Unfallopfer, zückt sein Smartphone und macht ein Foto von dem 12-Jährigen. Dieses verschickt er dann über die MEDUSA-App an das Klinikum, in dem Lukas später behandelt wird. So oder so ähnlich könnte es künftig ablaufen. Denn was im ersten Moment geschmacklos erscheint, nämlich Fotos von Verletzten zu verschicken, hilft den Stationsärzten, sich besser auf ihren nächsten Patienten vorzubereiten.
Smarte Telematik für die Maximalversorgung
Trauma- oder Brandverletzungen lassen sich häufig nur in hochspezialisierten Kliniken wirksam behandeln. Für das dortige Notfallpersonal existierten bislang jedoch keine telematischen Unterstützungskonzepte. Nun aber gibt es MEDUSA – »Medizin- und Verkehrstelematik für die präklinische und klinische Maximalversorgung von Schwerverletzten in NRW«. Was kompliziert klingt, ist eigentlich recht einfach: Die Lösung setzt sich aus der Notarzt-App, der Schockraumleiter-App und dem Schockraummonitor zusammen. Per Notarzt-App ist es zum Bespiel möglich, Fotos, Videos und Sprachnachrichten zu verschicken, die den Gesundheitszustand des Patienten dokumentieren. Zum anderen beinhaltet die Anwendung eine Art Katalog mit den wichtigsten Leitfragen, deren Klärung für eine reibungslose, erfolgreiche Weiterbehandlung erforderlich ist – so das Alter und Geschlecht, die Unfallkategorie oder die Art der Verletzung. Im Fall des kleinen Lukas würde der Notarzt also die Antwortmöglichkeiten »8–13 Jahre«, »männlich«, »Brand« sowie »Verbrennung/ Verbrühung« wählen.
Bessere Planbarkeit für das Klinikpersonal
Im Anschluss kann der Notarzt aus einer Liste umliegender Krankenhäuser die Zielklinik auswählen. Zwecks Erleichterung der Transportentscheidung sind darin sowohl die exakte Entfernung sowie die jeweilige Spezialisierung aufgeführt. Denn nicht jede Klinik verfügt über alle medizinischen Fachabteilungen. Das ausgewählte Krankenhaus erhält dann alle relevanten Informationen zum Unfallopfer. Die Daten landen sowohl auf dem Handy des Schockraumleiters als auch auf dem Monitor im Schockraum. Über diesen können sich die anwesenden Ärzte sowie Gesundheits- und Krankenpfleger bereits vor der Ankunft des Patienten einen ersten Eindruck von dessen Verletzungen machen. Darüber hinaus wird die ungefähre Ankunftszeit des Rettungswagens angezeigt. »Für uns von der Klinikseite ist die strukturierte Kommunikation mit den Notärzten und vor allem die Übermittlung von aktuellen Standortdaten sehr interessant, weil wir dann schon besser wissen, wann der Patient hier ankommt und in welchem Zustand«, berichtet Dr. Helena Düsing vom Universitätsklinikum Münster, die bei der App-Entwicklung den medizinischen Hintergrund und den Ablauf in der Präklinik und Klinik beigesteuert hat.
Interdisziplinär zum Ziel
An dem Projekt MEDUSA arbeitet eine interdisziplinäre Forschungsgruppe, der neben dem Fraunhofer IML auch die Universität Duisburg-Essen (PAULINO), das Universitätsklinikum Münster und die GeoMobile GmbH, Entwicklungsdienstleister im Bereich mobiler räumlicher Assistenzsysteme, angehören. In Workshops wurde die Ist-Situation der Notärzte im Vorfeld analysiert. Daran nahmen sowohl die involvierten Logistiker und Mediziner als auch Informatiker teil. »Uns war wichtig, dass wirklich alle persönlich begreifen, wie die Lage ist, also was die Notärzte für ein Problem haben. Und wenn man die App jetzt durchklickt, merkt man schon, dass die IT-ler tatsächlich verstanden haben, dass es für diese um den Zeitaspekt geht«, berichtet Projektleiter Prof. Matthias Klumpp vom Fraunhofer IML.
MEDUSA geht in die Testphase
Nach Abschluss der ersten Entwicklungsphase beginnen nun die Tests. Über einen Zeitraum von vier Wochen wird MEDUSA zunächst im Universitätsklinikum Münster installiert. Dazu soll auch die Notarzt-App im Realbetrieb geprüft werden. Obwohl die App einwandfrei funktioniert, hat Helena Düsing noch Bedenken: Der Vorteil der App liege nämlich eher auf Seiten der Klinik als auf der der Notärzte, weil die Zeitersparnis im Vergleich zu konventionellen Telefonaten nicht so groß ist. »Von Klinikseite wäre die App indes von großem Nutzen, deshalb müssen wir wohl noch ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten, damit die Notärzte die App auch wirklich installieren und nutzen.«
Für den Feinschliff und die Anpassung an den Praxisalltag soll MEDUSA zum Jahreswechsel 2019/20 in ein Transferprojekt übergehen. Perspektivisch braucht es einen Betreiber, der sich thematisch damit auskennt. Wie Matthias Klumpp betont, gäbe es aber schon mögliche Interessenten. Der Wissenschaftler selbst ist von MEDUSA überzeugt, auch wenn die Lösung anders aussieht als ursprünglich gedacht: »Wir haben schnell gemerkt, dass es nicht darum geht, eine technische Lösung mit tausend ›fancy‹ Funktionen an die Frau oder an den Mann zu bringen. Es geht darum, Leben zu retten und die Ärzte bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Dafür brauchen sie ein Tool, das sich in wenigen Sekunden bedienen lässt. Und das haben wir mit der App geschafft.« Die MEDUSA-App selbst kann keine Leben retten. Aber vielleicht trägt sie zukünftig dazu bei, dass Schwerverletzte eine verbesserte und zugleich beschleunigte Notfallversorgung erhalten.