Projektabschluss »Eingabefreie Station«

Mit Deep Learning und Sensorik zur Prozessunterstützung in der Pflege - Abschluss des Forschungsprojekts »Eingabefreie Station«

Hohe Dokumentationsaufwände gehören in Krankenhäusern zum Klinikalltag und führen zu einer Belastung des Pflegepersonals. Im Projekt »Eingabefreie Station  - Bewegungsbasierte Aufnahme von Pflegetätigkeiten zur automatisierten Dokumentation im Krankenhaus« wurde in den vergangenen drei Jahren (Nov 2019- März 2023) an einer technischen Lösung zur Verringerung der Dokumentationsaufwände, basierend auf Sensorik und Deep Learning, geforscht.

Der herrschende Pflegenotstand und Fachkräftemangel erhöhen den Druck auf das Pflegepersonal und sämtliche am Stationsalltag beteiligten Personen in unseren Krankenhäusern. Resultierend aus dem stetig steigenden Zeitdruck, gelangt das Pflegepersonal an seine Belastungsgrenzen und der Pflegeberruf verliert zunehmend an Attraktivität. Die Durchführung von zusätzlichen patientenfernen und patientenfremden Tätigkeiten, wie administrative Tätigkeiten, trägt zu dieser Situation bei. Nach projektinternen Studien zur Erfassung der Dokumentationszeiten nimmt die Pflegedokumentation rund 9% der Arbeitszeit (pro Schicht) ein. Obwohl es sich dabei um einen administrativen Prozess handelt, welcher sich gut durch assistive und innovative Technologien unterstützen ließe, arbeiten viele Kliniken bislang mit einer manuellen oder teilelektronischen Dokumentation, indem Bögen zur Dokumentation sog. Leistungserfassungsnachweise mit Zettel und Stift ausgefüllt werden. Vollelektronische Dokumentationssysteme kommen nur selten zum Einsatz.

Ziel des Forschungsprojektes war es, pflegerische Tätigkeiten mithilfe einer innovativen technischen Lösung aufzunehmen, mittels Deep Learning auszuwerten und die erkannten Pflegetätigkeiten in der elektronischen Patientenakte zu dokumentieren. Dies soll die zeitaufwendige, manuelle Pflegedokumentation reduzieren und das Pflegepersonal entlasten.  Auf Basis von ausgewählten Pflegeprozessen (z.B. Positionswechsel / Lagerung) wurde an einer Soft- und Hardware-Lösung zur automatisierten Identifizierung dieser Prozesse geforscht.

© Fraunhofer IML
Abbildung 1: Grundidee der automatischen Erfassung von Pflegetätigkeiten in der Eingabefreien Station

Übergreifendes Projektziel war es, eine Lösung zu entwickeln, welche einen hohen Mehrwert für die unterschiedlichen Anwender und Beteiligten liefert. Insbesondere der Nutzen für das Pflegepersonals stand hier im Vordergrund. Aus diesem Grund erfolgte eine enge Zusammenarbeit mit drei Kliniken als Praxispartner. Indem das Pflegepersonal von Anfang an involviert wurde, konnte eine nutzerorientierte Entwicklung der Technologie gewährleistet werden. Des Weiteren war es insbesondere in Bezug auf die Themen Datenschutz und Anonymisierung wichtig, Transparenz zu schaffen und alle Beteiligten über die Ziele des Projektes aufzuklären. Als Praxispartner fungierte die St. Franziskus-Stiftung mit den teilnehmenden Pilotkliniken Maria-Frieden-Hospital in Telgte, Maria-Josef-Hospital in Greven und St. Elisabeth-Hospital in Beckum. Neben den Kliniken waren die MotionMiners GmbH federführend als Technologieentwickler und die FACT‘ IT GmbH als Betreiber von klinikinternen Rechenzentren am Projekt beteiligt. Über eine Laufzeit von drei Jahren wurde an einer neuen Lösung geforscht, ein Proof-of-Concept entwickelt und in den Kliniken pilotiert. Gefördert wurde das Projekt durch die Europäische Union und das Land Nordrhein-Westfalen im Zuge des Leitmarktes Gesundheit.NRW mit einer Fördersumme von rund 1,6 Mio. Euro (Gesamtvolumen rd. 2,4 Mio. Euro).

Wie funktioniert eine automatisierte Pflegedokumentation?

Die Idee baute darauf auf, die Bewegungen der Pflegekräfte mit Minisensorik aufzunehmen. Dazu wurde ein Sensorband mit drei Sensoren entwickelt, welches sich im oberen Rücken und an den hinteren Oberarmen befindet und im Inneren an der Berufskleidung angebracht werden kann. Durch eine zusätzliche Anbringung von BLE-Sensoren in relevanten Räumen der Station wurden weitere Kontextinformationen aufgenommen. Nach der Datenaufnahme erfolgte als nächster Schritt die Tätigkeitsidentifikation. Bewegungen der Pflegekraft werden dabei durch Methoden des Deep Learning wiedererkannt und automatisch einer zu vorangelernten Pflegetätigkeit zugeordnet. Anschließend werden die Tätigkeiten in einem Leistungsnachweis zusammengefasst und der Pflegedokumentation eines Patienten zugeordnet. Durch ein mobiles Endgerät (Handy) hat das Pflegepersonal abschließend die Möglichkeit die erkannten Pflegetätigkeiten zu prüfen, ggf. zu ergänzen und zu bestätigen. Nach erfolgreicher Bestätigung können die Leistungen in der elektronischen Patientenakte dokumentiert werden. Eine zeitintensive nachträgliche Dokumentation entfällt auf diese Weise.

© Fraunhofer IML
Abbildung 2: Architektur des Proof-of-Concept

Wo liegen die Chancen für die Krankenhäuser und die Pflegedokumentation?

Viele Bereiche des Krankenhauses profitieren von einer möglichen automatisierten Dokumentation. Durch die Reduktion der hohen Dokumentationsaufwände liegt der Nutzen insbesondere bei dem Pflegepersonal. Die gewonnene Zeit soll zum einen zu einer neuen Priorisierung im Arbeitsalltag führen, zum anderen kann diese Zeit zukünftig für mehr Zuwendung von der Pflegefachkraft für die Patienten genutzt werden. Zusätzliches Ziel ist die Unterstützung des Medizincontrollings, dessen Alltag in vielen Krankenhäusern von Anfragen und Prüfungen des MDKs (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) getrieben ist. Gleichzeitig hat das Prüfvolumen in den letzten Jahren rapide zugenommen. An dieser Stelle kann eine automatisierte Dokumentation eine Grundlage für eine effektive Kodierung und leistungsgerechte Abrechnung liefern.

Welche Forschungskenntnisse wurden erreicht? 

Ein wichtiges und initiales Forschungsziel lag in der Erfassung von Pflegebewegungen im Rahmen der Erkennung von menschlichen Bewegungen. Erstmalig wurde eine bewegungsbasierte Analyse von manuellen Pflegeprozessen in Kombination mit einer Hardwarelösung durchgeführt, die möglichst praktikabel für einen Einsatz im realen Pflegealltag sein sollte. Die Konzeptionierung und Entwicklung der Hardware erfolgte pflege- und nutzerkonform, gemeinsam mit Technikentwicklern und Pflegefachkräften in interdisziplinären Projektteams. So wurde eine schmale Lösung mit drei Sensoren entwickelt, die die Pflegekräfte in der Pilotierungsphase zu Beginn der Schicht in ihrer Arbeitskleidung anbringen konnten. Des Weiteren wurde eine Datenauswertung in Echtzeit integriert. Dies ermöglichte eine sofortige Interaktion der Ergebnisse mit der Pflegefachkraft.

Ausblick

Eine erfolgreiche Einführung von digitalen Assistenzsystem steht und fällt mit der Integration in das Krankenhausinformationssystem und der Nutzungsmöglichkeit von zusätzlichen Datenquellen des Krankenhauses. Eine vollständig integrierte Lösung ist wichtig, um eine ganzheitliche Pflegedokumentation zu ermöglichen, die Entwicklung von Insellösungen zu vermeiden und das Potenzial der Lösung gänzlich auszuschöpfen.

Das Projekt legt eine wichtige Basis für den Ansatz einer bewegungsbasierten Identifikation und Analyse von Prozessen. Dennoch sind weitere Forschungen im Bereich Human-Activity-Recognition und Mensch-Computer-Interaktion erforderlich. Dabei wird insbesondere Wert auf eine zuverlässige und vertrauenswürdige künstliche Intelligenz gelegt, mit einer engen Interaktion zwischen Technologie und Pflegekräften.

Auch zukünftig ist die Entwicklung innovativer und unterstützender digitaler Lösungen von besonderer Bedeutung, um eine erleichternde Arbeitsumgebung für die stationäre Pflege zu schaffen, die von pflegefernen Tätigkeiten entlastet, die Belastung reduziert und den Fokus weg von der Bürokratie wieder hin zur Interaktion mit den Patienten legt.

Projektabschlussfoto »Eingabefreie Station«

© Fraunhofer IML

Förderung