Mit seinen Forschungshallen, Testzentren und Laboren verfügt das Fraunhofer IML über eine Infrastruktur für die angewandte Logistik-Forschung, die auch international ihresgleichen sucht. Jetzt ist dieses »Innovationsökosystem« in der Westfalenmetropole Dortmund um eine weitere Attraktion reicher: das PACE Lab (PACE = Positioning Accuracy Communication Evaluation). Dort wird die Social Networked Industry zum Leben erweckt, in der Mensch und Maschine als unschlagbares Team zukünftig Hand in Hand zusammenarbeiten. PACE Lab umfasst nun zwei Testhallen. Eine dient primär der Grundlageforschung im Bereich Positionsdetektion, in der anderen werden konkrete Anwendungen untersucht.
Damit steht ab sofort eine erstklassige Experimentierumgebung für die Entwicklung und Validierung innovativer Technologien und Verfahren in einer Größenordnung von insgesamt rund 1.500 Quadratmetern bereit. Rund zwei Drittel der Fläche entfallen auf das PACE Lab, wo Methoden zur Ortung und Lokalisierung im industriellen Maßstab adressiert werden. Eine Schlüsselkomponente sind Fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF). »Dieses High-Tech-Testfeld zur Echtzeitdatenerfassung stellt eine weltweit einzigartige Entwicklungsumgebung dar. Mit dem installierten Hochpräzisions-Motion-Capture-System ist es möglich, mehrere Hundert Objekte in 3D in Echtzeit zu erfassen, mit einer Frequenz von 400 Hertz – das perfekte digitale Abbild der Realität«, erklärt Sören Kerner, Abteilungsleiter KI und Autonome Systeme am Fraunhofer IML.
Doch hier geht es nicht um Blockbuster-taugliche Animationsfilme. Vielmehr wird dieses Abbild für die Evaluierung von Algorithmen genutzt. Gleichzeitig ist es aufgrund der Echtzeitfähigkeit des Systems und der geringen Latenz von zwei Millisekunden möglich, Algorithmen einem Live-Prototyping zu unterziehen. Über eine eigens entwickelte Simulationsumgebung kann zudem das Verhalten autonomer, mit Künstlicher Intelligenz (KI) verknüpfter Schwärme untersucht werden. Die Ergebnisse dieser digitalen Realität lassen sich direkt auf den Shop-Floor übertragen. All dies ist jedoch längst nicht das Ende der sprichwörtlichen Fahnenstange. Denn das PACE Lab dient parallel als 5G-Testfeld, in dem die Kommunikation autonomer Systeme mit einer Basisstation, einem Device-Simulator und einer enormen Anzahl von Messgeräten nachvollzogen wird. Dabei nutzt das IML-Team auch ein neuartiges Lasersystem, das an der Hallendecke montiert ist und Daten während der
Entwicklung in Echtzeit auf den Boden projiziert. Das Besondere daran: Eine Schutzbrille ist nicht mehr erforderlich, um Augmented Reality ad hoc erlebbar zu machen.
Angesichts der Vision einer zukünftigen Social Networked Industry treibt die Forscher natürlich auch die Frage um, wie sich die naturgegebenen Fähigkeiten des Menschen mit dem Leistungsvermögen technischer Assistenzsysteme bestmöglich vereinen lassen. »Neben der rein technischen Entwicklung steht für uns die Anbindung des Menschen im Vordergrund«, bekräftigt Jana Jost, Abteilungsleiterin Robotik und Kognitive Systeme am Fraunhofer IML. »Bei unseren Lösungen achten wir auf einfache, intuitive Bedienbarkeit. Mitarbeitende können zum Bespiel relevante Informationen direkt am Display ablesen, sodass mentale Belastungen deutlich reduziert werden. Durch eine ergonomische Anpassung des Systems an den Menschen, etwa per Höhenverstellung, die eine Warenentnahme ohne Bücken ermöglicht, minimieren wir parallel die physische Belastung.« Bei der Auswahl der im Individualfall geeigneten Technologie kommt den Kunden in diesem Kontext auch die an dem unabhängigen staatlichen Forschungsinstitut gebündelte breite Marktkenntnis zugute, so dass ein qualifizierter Anbieter rasch gefunden ist.
Speziell bei Fahrerlosen Transportfahrzeugen, deren Weiterentwicklung das Dortmunder Institut seit mehr als 30 Jahren aktiv mitgestaltet und dazu beigetragen hat, eine neue Generation mobiler, autonomer Roboter zu erschaffen, ist laut Jana Jost zudem eine individuell passgenaue Orchestrierung wichtig – sei es zentral oder dezentral im Schwarm. Speziell eine Entwicklung des Anwendungszentrums sorgt bereits für Furore: »Das PACE Lab untertitle ich auch sehr gerne als ›Home of the LoadRunner‹«, merkt Sören Kerner an. Nur durch die einzigartige Infrastruktur sei es möglich gewesen, die Entwicklungsstränge eines High-Tech-Schwarms zu entkoppeln und so innerhalb von nur drei Monaten parallel Mechanik, Regelungstechnik und Sensorik zu entwickeln. Angesichts der erzielten Erfolge im Bereich Künstlicher Intelligenz ist für den FTS-Experten klar, dass »selbst Projekte wie der ›Loadrunner‹ erst an der Spitze der Autonomie gekratzt haben können«. Gleichzeitig werde eine stärkere Konzentration auf den Menschen die Autonomie in der Mensch-Maschine-Interaktion weiter steigern und dafür sorgen, dass Fahrerlose Transportsysteme, auch auf der Straße bis hin zur Haustür, zu einem zentralen Akteur der Lieferkette avancieren. »Ich bin überzeugt, die Erforschung der Logistik hat erst begonnen.«
PACE Lab steht Unternehmen aus dem Industriesektor offen, die ihre Soft- und Hardware-Lösungen testen und das »Labor« in Kooperation mit dem Fraunhofer IML als Entwicklungsumgebung für autonome Systeme nutzen möchten – von der Evaluierung über die Umsetzung bis hin zur Zertifizierung. Unterstützt werden sie hierbei auch durch den Clan »Autonome Systeme« des Leistungszentrums Logistik & IT, unter dessen
Dach forschende Institutionen kooperieren, die sich ebenfalls dem Know-how-Transfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft verschrieben haben. Ferner besteht die Möglichkeit, auf die PACE-Lab-Infrastruktur auch im Rahmen nationaler und internationaler Forschungsprojekte zuzugreifen.