»ALEES«: Netzwerk für die City-Logistik der Zukunft
»ALEES« steht für »Autonomous Logistics Electric EntitieS for city distribution«: Ist die Innenstadtbelieferung mit elektrisch-automatisierten Fahrzeugen die Zukunft?
Schellert: Die Belieferung und Versorgung von Innenstädten ist ein stark wachsendes Geschäftsfeld für Logistikdienstleister. Das Projekt geht zurück auf eine Initiative des Vlaams Instituut voor de Logistiek (VIL) in Antwerpen. Auf der Forschungsagenda steht die nachfrageorientierte Belieferung insbesondere von Händlern und Gastronomen in der Stadt. Mit der Elektrifizierung und Automatisierung von Lieferfahrzeugen lassen sich dabei zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Vernetzte Fahrzeuge besitzen das Potenzial, die Warenzustellung dynamischer zu gestalten und den Servicegrad für die Kunden zu erhöhen, und die Elektromobilität macht die urbane Versorgung umweltfreundlicher und leiser. Entsprechende Fahrzeuge befinden sich bereits in der Entwicklung und sind auch schon weltweit für Transport- und Forschungszwecke im Einsatz.
Welchen Part haben die Wissenschaftler des Fraunhofer IML im Projekt?
Schellert: Grundsätzlich ging es um Einsatzmöglichkeiten und Use-Cases für elektrisch-automatisierte Fahrzeuge im urbanen Umfeld – von den technischen Rahmenbedingungen bis hin zur Realisierung. Unsere hauptsächliche Aufgabe war die Entwicklung einer IT-Softwarearchitektur. Wir haben dazu zunächst analysiert, wo die notwendigen Schnittstellen liegen und wie die Kommunikationsinfrastrukturen aussehen. Eine wichtige Vorgabe aus dem Projekt lautete, dass mehrere Logistikdienstleister das Fahrzeug nutzen sollten. Von besonderer Bedeutung war daher eine Vernetzungsinfrastruktur, über die sich alle am Prozess Beteiligten informieren können, wo sich das Fahrzeug befindet und ob es gerade voll beladen oder leer ist. Wir haben dazu drei mögliche Konzepte ausgearbeitet und die jeweiligen Vor- und Nachteile aufgezeigt.
Wie unterscheiden sich diese Konzepte voneinander?
Schellert: Oberste Prämisse für alle Konzepte war: Ein verlässliches System erfordert ein starkes Netzwerk. Das erste Konzept setzt auf die Direktvernetzung der Partner der städtischen Lieferkette: Der Hub Operator kommuniziert direkt mit den Logistikunternehmen, diese wiederum mit ihren Kunden. Die zweite Lösung sieht eine neutrale »offene« Plattform für den Datenaustausch vor, über die alle Partner vernetzt sind. Sämtliche Daten liegen zentral auf dieser Plattform. Für die dritte Lösung haben wir einen »urban logistics data space« nach dem Vorbild des Industrial Data Spaces, der Unternehmen eine dezentrale souveräne Bewirtschaftung ihrer Daten ermöglicht. Die Technologie befindet sich derzeit allerdings noch in der Erprobung. Die Herausforderung bei allen Lösungen liegt in der Integration von autonomen Fahrzeugen. Jedes System lässt sich einfach über Apps steuern, also über eine standardisierte Anwendung.
»ALEES« ist eine Initiative des Vlaams Instituut voor de Logistiek (VIL) in Belgien. Wie kam es zur Zusammenarbeit?
Schellert: Mit dem Institut verbindet das Fraunhofer bereits eine langjährige Partnerschaft. Für sein Projekt »ALEES« suchte das VIL gezielt nach einem Forschungspartner mit Erfahrung und Referenzen im Bereich des Autonomen Fahrens und kam auf uns zu. Zu den Projektpartnern aus der Wirtschaft gehören übrigens auch DHL und Rhenus Logistics – beides Partner, mit denen wir am Institut seit vielen Jahren gemeinsame Projekte durchführen. Das Projekt startete im Februar des vergangenen Jahres. Im Mai dieses Jahres konnten wir einen ersten Praxistest in der belgischen Stadt Mechelen realisieren – da wurde die Zukunft der Stadtlogistik anschaulich und greifbar.
Wie sah der Versuch aus und welche Reaktionen gab es?
Schellert: Das Fahrzeug – ein kompaktes Shuttle unseres Kooperationspartners Easy Mile – erregte bei den Passanten natürlich Aufsehen. Das ist gut, denn das schafft ein Bewusstsein für diese Form der Mobilität und der Belieferung. Das Shuttle bewegte sich lautlos und wie ferngesteuert durch die Fußgängerzone der Stadt. Im Versuch wurde das Fahrzeug unter anderem dazu genutzt, Gastronomiebetriebe in der viel frequentierten Innenstadt, vor allem auch in der Fußgängerzone, bedarfsgerecht mit in Trockeneis verpackten Waren zu beliefern. Insgesamt haben fünf lokale Händler und Restaurants an dem Versuch teilgenommen.
Ein Satz dazu, welche konkreten Vorteile die Lösung nun bietet?
Schellert: Ein Satz ist zu wenig, denn die Vorteile liegen auf verschiedenen Ebenen: Die Städte werden attraktiver und sauberer, weil dort weniger Verkehr herrscht und leise, lokal emmissionsfreie Fahrzeuge unterwegs sind. Logistikunternehmen und ihre Kunden profitieren von einem verbesserten Logistikservicegrad, höheren Lieferfrequenzen und flexibleren Zustellungen, beispielsweise auch zu Tagesrandzeiten. Und das System bietet jede Menge Potenzial, das wir im weiteren Projektverlauf entwickeln wollen: Das im Test eingesetzte Shuttle ist auch für den Personenverkehr geeignet. Aber vielleicht brauchen wir ein Fahrzeug, das explizit nur für den Warentransport eingesetzt wird – etwa eine Art rollende Packstation mit abschließenden Fächern. Die heutigen Technologien erlauben ganz neue Fahrzeugkonzepte, unserer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Das sind alles Ideen, die wir jetzt diskutieren werden.
Was muss denn passieren, damit sich Projekte wie diese in der Praxis durchsetzen?
Schellert: Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass sich Logistikdienstleister zusammentun und ein solches System gemeinschaftlich aufsetzen bzw. nutzen. Oder es findet sich ein Start-up, das den großen Unternehmen eine hochspezialisierte Innenstadtbelieferung als Service anbietet. Unsere zentrale Aufgabe ist es jetzt aber erst einmal, die IT-Infrastruktur abschließend aufzusetzen und in Gespräche mit weiteren Akteuren und vor allem Logistikdienstleistern und Kommunen zu gehen.
Maximilian Schellert, vielen Dank für das Gespräch!
Letzte Änderung: